Thomas Piketty

Der Sozialismus der Zukunft

Ausgabe: 2022 | 2
Der Sozialismus der Zukunft

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und Scheitern des Realsozialismus schien der Kapitalismus endgültig ‚alternativlos‘ zu sein. Im Jahr 2022 hat dieser jedoch auf die großen Fragen unserer Zeit (Klimakrise, soziale Ungleichheit und Pandemie) keine Antworten mehr. Umso dringender ist es, wieder über Alternativen zum sozial und ökologisch destruktiven Kapitalismus nachzudenken.

In den letzten Jahren hat sich eine vielfältige Debatte (mit Beiträgen u. a. von Klaus Dörre, Ulrich Brand oder Erik Olin Wright) um die Möglichkeiten der Erneuerung des Sozialismus entfaltet. In diese Reihe der Suche nach Alternativen ordnet sich die aktuelle Veröffentlichung des französischen Ökonomen Thomas Piketty ein. Es handelt sich dabei um die Sammlung seiner Essays, die zwischen 2016 und 2020 in der französischen Tageszeitung Le Monde erschienen sind. In diesem Rahmen skizziert Piketty seinen Entwurf eines Sozialismus der Zukunft, der auf Gleichheit, Partizipation und Ökologie aufbaut.

Zur Bedeutung von Macht und Eigentum

Als Ursache vieler Probleme des Kapitalismus macht Piketty die Konzentration von Macht und Eigentum aus. Diese sei jedoch nicht ökonomischer oder technischer Natur, sondern Ergebnis politischer Entscheidungen und ideologischer Überzeugungen. Am Beispiel der USA zeigt er, dass der Wohlstand in der Vergangenheit nicht der Fetischisierung und Konzentration von Eigentums- und Vermögenswerten zu verdanken gewesen sei, sondern geschickten Investitionen in Bildung und Infrastruktur sowie einer deutlichen Steuerprogression. Nicht Privatisierung, Deregulierung und Marktradikalismus seien der Schlüssel zu mehr Wohlstand für alle, sondern gesellschaftlicher Kräfteausgleich und die Aufhebung des Klassengegensatzes. Die Bilanz der Steuerungerechtigkeit in den USA sei hingegen katastrophal: Zwischen 1930 und 1980 lag der Spitzensteuersatz bei durchschnittlich 81 Prozent, während er zwischen 1980 und 2018 bei durchschnittlich nur 39 Prozent gelegen hat. In diesem Zeitraum betrug das Wachstum des Pro-Kopf-Nationaleinkommens jedoch nur die Hälfte im Vergleich zu den Jahren zuvor. In diesem Zusammenhang erteilt Piketty auch der empirisch hinreichend widerlegten, aber noch immer beliebten Trickle-Down-Theorie eine deutliche Absage.

Die zentralen Aspekte in Pikettys Überlegungen stellen daher die Umverteilung und Zirkulation von Macht und Eigentum dar. Durch den Umbau in ein gerechtes Steuer- und Erbschaftsrecht (u. a. durch eine progressive Vermögens- und Erbschaftssteuer) sollen gesellschaftliche Eigentums- und Machtverhältnisse grundlegend neu definiert werden. Weitere Eckpfeiler sind Investitionen in den Bildungssektor, der Ausbau des Sozialstaates sowie Demokratisierung und Internationalisierung. Piketty fordert eine andere Globalisierung im Sinne eines internationalistischen Modells, das auf ökonomischer, steuerlicher und ökologischer Gerechtigkeit beruht. Dabei verknüpft er die ökologische mit der sozialen Frage. Eine effektive Umweltpolitik könne ihre Ziele nur erreichen, wenn sie in ein sozialistisches Programm zur Reduktion von Ungleichheit eingebunden werde.

Eine prominente Position in Pikettys Buch nimmt weiterhin die Kritik an der Politik der Europäischen Union ein. Piketty arbeitet sich dabei insbesondere an der Rolle von Frankreich und Deutschland ab und kritisiert deren hegemoniale Stellung innerhalb der Union. Die (notwendige) Kritik am Status-Quo der EU will er hier nicht den Rechtspopulisten und Nationalisten überlassen. Seine Antwort auf die Probleme der EU ist nicht Rückkehr in nationalstaatliches Denken, sondern europäische Integration, Demokratisierung und Solidarität zwischen den Mitgliedsstaaten. Dementsprechend fordert er eine grundlegende Reform der EU entlang sozialer und ökologischer Prinzipien. Denn wer Europa liebt, so Piketty, der müsse es verändern.

Immer wieder hebt Piketty auch den Blick über Europa hinaus, beleuchtet etwa die gesellschaftlichen Verhältnisse in Brasilien und zieht aufschlussreiche Parallelen zu Entwicklungen in Europa. Denn auch hier gilt: Überlässt man die Kritik an den Verhältnissen den politischen Akteuren am rechten Rand, so sind Gleichheit und Demokratie in existenzieller Gefahr. 

Mehr Reform als Revolution

Zwar stellt Piketty die Systemfrage, jedoch scheint sein Sozialismus der Zukunft am Ende mehr Reform als Revolution zu sein. Denn auch Piketty bleibt der Idee eines kontinuierlichen Wirtschaftswachstums grundsätzlich verhaftet. Ausgeblendet wird dabei jedoch der Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und Umweltzerstörung. Piketty reduziert die ökologischen Nebenfolgen des Kapitalismus so auf eine Verteilungsfrage und übersieht den grundlegenden ökologischen Widerspruch des Kapitalismus. Nichtsdestotrotz weisen seine Überlegungen in die richtige Richtung und zeigen, wie eine sozialere, gerechtere und ökologischere Gesellschaft aussehen könnte.