
„Eine den Herausforderungen der Zeit angemessene globale Produktions- und Lebensweise würde in einer lokalen bis globalen Kooperation aushandeln, was gebraucht und gewünscht wird. Erst dann würde gearbeitet werden. Ziel dieser Wirtschaftsweise wäre frei verfügbare Zeit und eine nachhaltige Entwicklung für alle; nicht die Maximierung von Gewinn unter dem Zwang der Konkurrenz“ (S. 14f.). Damit bringt die Politikwissenschaftlerin Sabine Nuss das Anliegen eines Bandes auf den Punkt, der sich den Möglichkeiten und Perspektiven einer Vergesellschaftung der Produktion widmet. Das Zitat macht zugleich deutlich, dass der Anspruch ein radikaler ist und wir von diesem Ziel aktuell weit entfernt sind. Der Herausgeber Tino Pfaff (siehe auch den Band zu „Ökozid“) präzisiert, was mit Vergesellschaftung gemeint ist. Es gehe dabei nicht um das „unrechtmäßige Entwenden von alltäglichem Besitz“, sondern darum, die „Mitbestimmungsmöglichkeiten jeder einzelnen Person zu vervielfältigen und damit die direkte Einflussnahme sowie Entscheidungs- und Handlungsmöglichkeit auf das eigene Leben betreffende Lebensgrundlagen zu erweitern“ (S. 20). Auch damit ist ein anderes Wirtschaften wohl noch schwer greifbar.
So kreisen die theoretischen Beiträge im ersten Teil des Buches um die grundsätzliche Frage, warum eine Vergesellschaftung der Produktion angestrebt werden müsse. Der Ansatz der Commons von Friederike Habermann sowie die Auseinandersetzung mit der „Tragödie der Allmende“ bei Garret Hardin werden ebenso thematisiert wie das Verhältnis von Staat und Vergesellschaftung – gesetzt wird auf dezentrale Ansätze von unten. Eine neue Strategie für die Linke, die – das wird eingestanden – derzeit keine mehrheitsfähigen Angebote hat, ist ebenfalls Thema. Die Hoffnung liegt auf einem „linken Hegemonieprojekt“, das sich „über die Etablierung lokaler radikalisierter Projekte mittelfristig zu einer gegenhegemonialen Kraft entwickeln“ könne (S. 211).
Vergesellschaftung in der Praxis
Da es derzeit kaum Praxisprojekte der Vergesellschaftung der Produktion gibt, wird als Vorbild mehrfach auf den Berliner Volksentscheid „Deutsche Wohnen und Co Enteignen“ (DWE) verwiesen, der die Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne fordert. Die Berliner Stadtregierung hat den Volksentscheid bisher nicht umgesetzt, was einmal mehr auf die Brisanz der Eigentumsfrage verweist. Gehofft wird auch auf den Aufbau von Energiegenossenschaften sowie auf Kämpfe für die Demokratisierung von Stadtwerken oder der kommunalen Wärmeplanung. Ein eigener Abschnitt ist dem Verhältnis von Vergesellschaftung und kritischer Infrastruktur gewidmet. Vorgestellt werden Kampagnen zur Verkehrswende ebenso wie Beispiele solidarischer Landwirtschaft. Auch Bezüge zum Thema Lohnarbeit sowie zu Suffizienz werden hergestellt – spannend dabei ist der Ansatz der „Entprivatisierung der sozialökologischen Transformation“ (S. 285), womit die Konversion von Betrieben für die Produktion von Gütern der Ernährungs-, Energie-, Wärme- und Mobilitätswende gemeint ist.
Am konkretesten beschreibt ein Beitrag von Michael Pfundstein und Kollegen über „Vergesellschaftung und Unternehmen“, wie eine Demokratisierung der Wirtschaft eingeleitet werden könnte. Vorgestellt werden drei Modelle. Im „Parlament der Firma“ von Isabelle Ferrera, Professorin für Politik und Sozialwissenschaften an der Katholischen Universität Löwen in Belgien, werden Unternehmen in einem paritätisch besetzten Zweikammern-System aus Anteilseigner:innen („Kapitalinvestierenden“) und Beschäftigten („Arbeitsinvestierenden“) analog zu den politischen Parlamenten organisiert (vgl. S. 241f.). Der deutsche Wirtschaftswissenschaftler Heinz-Josef Bontrup plädiert für paritätische Unternehmensräte aus gewählten Vertreter:innen von Kapitalgebenden, Belegschaft, Umwelt- und Verbraucherschutz und Staat. Bontrup ergänzt sein Modell durch eine neue Eigentumsform, das „neutralisierte Kapital“. Die Belegschaften würden immer mehr an den Gewinnen beteiligt, wodurch der Einfluss der Kapitalinteressen zurückgedrängt wird (vgl. S. 243f.). Der „betriebliche Wirtschaftsrat“ von Norbert Bernholt, dem Geschäftsführer der Akademie Solidarische Ökonomie, besteht in Drittelparität aus Beschäftigten, Öffentlichkeit und Kapitalgebenden (Eigen- und Fremdkapital). Seine Aufgaben bestehen vor allem in der Entwicklung einer langfristigen strategischen Ausrichtung des Unternehmens, der Entscheidung über die Überschussverwendung und der Wahl und Kontrolle des Vorstands, der sich – wie in den anderen Modellen – um das operative Geschäft kümmert. Die partizipative Steuerung des Unternehmens soll durch eine Nachhaltigkeitsbilanzierung, z. B. in Form einer „Gemeinwohlbilanz“ ergänzt und unterstützt werden (vgl. S. 244f.). Die Autoren des Beitrags sehen in demokratisierten Unternehmen einen wichtigen Schritt zur Demokratisierung der Produktion und Einbeziehung der Öffentlichkeit. Aus der Klimagerechtigkeitsbewegung entstandene Modelle einer Energiegrundversorgung für alle weisen in diese Richtung – als Beispiel wird im Buch die Kampagne „RWE & Co enteignen“ vorgestellt, die auf eine Demokratisierung des Energiesektors in Nordrhein-Westfalen abzielt und aus den Kämpfen gegen den weiteren Abbau von rheinischer Braunkohle entstanden ist.
Resümee: Der Band zeigt erste Ansätze einer Demokratisierung der Produktion, die vorerst wohl nur im Bereich (ehemals) öffentlicher Güter Chancen auf Umsetzung hat. Die Bereitstellung von erneuerbarer Energie und leistbarem Wohnraum stehen dabei im Zentrum. Ansätze wie ein erweiterter Betriebsrat sowie erweiterte Unternehmensbilanzen weisen ebenfalls in diese Richtung. Modelle einer demokratischen Planung sind bislang wenig ausgegoren. Es wird daher weiterhin Aufgabe der Politik sowie der Staatengemeinschaft sein, den Konzernen durch verbindliche Regeln wie Lieferkettengesetze und internalisierte ökologische Kosten Grenzen zu setzen und gleiche Marktbedingungen für alle unter sozialökologischen Vorzeichen zu schaffen. Dies schließt neue partizipative Unternehmensformen, die von unten entstehen, nicht aus. Wichtig scheint, dass es zukünftig nicht mehr nur um die Verteilung des Erwirtschafteten gehen kann, sondern auch um die Frage, was produziert wird.








