International Research Group on Authoritarianism and Counter-Strategies, kollektiv orangotango (Hg.)

Beyond Molotovs

Ausgabe: 2025 | 2
Beyond Molotovs

„Beyond Molotovs“ ist ein einzigartiges, widerständiges und visuell eindrucksvolles Buchprojekt, herausgegeben von der International Research Group on Authoritarianism and Counter-Strategies (IRGAC) in Zusammenarbeit mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin. Es ist Ergebnis einer kollaborativen Zusammenarbeit, die wissenschaftliche Aktivist:innen aus dem Globalen Süden zusammenbringt, um den autoritären Kapitalismus, die extreme Rechte und die strategischen Antworten der Linken auf diese zu untersuchen. Das Handbuch ist mehr als eine Sammlung anti-autoritärer Strategien – es ist ein Aufruf zum Handeln. Sinnlich und ästhetisch gestaltet, bietet es Leser:innen Hoffnung und immer wieder neue Impulse für ihre eigene politische und kreative Praxis.

Im Kern entfaltet sich hier die Überzeugung, dass Autoritarismus nicht nur bekämpft werden kann, sondern bereits in zahllosen Formen auf der ganzen Welt bekämpft wird. Es eröffnet den Blick auf Widerstandsformen, die über die gewaltsame Auseinandersetzung weit hinausgehen und welt-weit emotionale und sinnlich-ästhetische Strategien einsetzen, um Autoritarismus zu bekämpfen. Die behandelten Themen sind vielfältig: Kämpfe um Rasse, Migration, Geschlecht und reproduktive Freiheit werden von den Autor:innen ebenso angesprochen wie Proteste gegen Schulden, Landraub und Gentrifizierung.

Die Kraft der Affekte als Widerstandsmittel

„Beyond Molotovs“ ist ein Buch, das die Kraft der Affekte als Widerstandsmittel hervorhebt. In einer Zeit, in der emotionale Dimensionen zunehmend von rechter Propaganda vereinnahmt werden, fordert „Beyond Molotovs“ sie als gezieltes Instrument des Widerstands zurück. Eindringlich verdeutlicht dies der Beitrag „Songs for Free Syria and Regional Cross-Border Solidarity“ von Joey Ayoub. Er erkundet die Macht des Gesangs als Protest, als Ausdruck von Solidarität, als Verbindung über die Schranken der Unterdrückung hinweg. Ayoub erzählt von einem Sänger in Yarmouk, der während der Bombardierungen durch das Assad-Regime im März 2018 ein Video veröffentlichte, in dem er für Solidarität mit der Region Ghouta sang und damit eine Botschaft zur Ermutigung an die Bewohner:innen sendete – ein Ruf auch, sich gegen die Unterdrückung zu erheben. Der Beitrag zeigt auch auf, wie sich die Chants aus Syrien ihren Weg in die Konfliktgebiete Palästinas und des Libanon bahnen und dort zu lebendigen Zeichen der Solidarität werden – eine Kette der Verbundenheit.

Auch die Widerstandsposter aus Hongkong in dem Beitrag „The Art of Protest in Hong Kong“ von Sophie Mak, werden zum Sinnbild dafür, wie Kunst zum Widerstand wird: Ihre Motive werden verbreitet und geteilt, als Street-art, auf Protestschildern und in Memes und stärken so die Solidarität der Menschen vor Ort und weltweit.

Eindrucksvoll ist auch der Beitrag von Francesca Cogni und Tuline Gülgönen zum Projekt „Ecologías del Futuro“. Dieses wandernde Projekt widmet sich den drängenden Fragen des Klimawandels. Seit 2018 entfalten sich darin kollektive Science-Fiction-Workshops, in denen Kurzfilme, Texte, Comics und Podcasts entstehen. Über Ländergrenzen hinweg laden diese Workshops Menschen Hintergründe ein, sich kreativ den Herausforderungen der Zukunft zu stellen. Das Ziel: die Kraft der Vorstellung als ein kollektives, transformierendes Instrument neu zu begreifen.

Imagination alternativer Lebensentwürfe

Das Buch dokumentiert, wie Menschen, Kollektive und Bewegungen alternative Lebensentwürfe imaginieren und aktiv dafür kämpfen. Anti-Autoritarismus wird so, wie eine der Autor:innen, Eva von Redecker, schreibt, nicht nur zur radikalen politischen Kraft, sondern wendet sich auch gegen die Herrschaft über das Leben als solcher. „Beyond Molotovs“ ist damit weit mehr als eine Ansammlung von Essays und künstlerischen Arbeiten – es ist ein leidenschaftlicher Appell zum Handeln. Es macht deutlich, dass Widerstand viele Formen annehmen kann und dass schöpferischer Ausdruck und gemeinschaftliches Engagement unerlässlich sind, um eine gerechte und solidarische Zukunft zu gestalten. In einer Welt, die zunehmend unter autoritären Schatten liegt, ist dieses Buch ein lebendiger Beitrag zur Reflexion über Widerstand und gesellschaftlichen Wandel.

Gleichzeitig ist das Handbuch selbst eine dieser Strategien: Es sammelt, offenbart und visualisiert bereits existierende Formen des Widerstands. Es eröffnet eine kaleidoskopische und sinnliche Sicht auf den globalen Anti-Autoritarismus und schenkt den Leser:innen Hoffnung in einer Zeit, die oft von Angst und Resignation geprägt ist. Die Beiträge fordern dazu auf, den Mut zu finden, sich zu zeigen, sich zu verändern und gemeinsam für eine alternative Zukunft zu kämpfen.