Thor Hanson

Von schrumpfenden Tintenfischen und windfesten Eidechsen

Ausgabe: 2023 | 3
Von schrumpfenden Tintenfischen und windfesten Eidechsen

Die Auswirkungen der Klimakrise auf unsere Umwelt sind bereits Realität. Wenngleich diese vom Menschen in den vergangenen Jahrzehnten nur peripher wahrgenommen wurden, reagieren Flora und Fauna bereits seit längerem mit diversen Strategien auf die Veränderungen ihres Lebensraumes. Diesen Entwicklungen widmet der Naturschutzbiologe Thor Hanson sein Buch.

Sprunghafte Evolution

Einleitend werden historische Entwicklungen und Entdeckungen der Forschung, insbesondere der Paläontologie, angeführt. Bereits Anfang der 1970er wurde der Punktualismus vorgestellt, eine Theorie, welche zwar die wesentlichen Merkmale von Evolution nach Darwin nicht hinterfragt, jedoch die Möglichkeit einer beschleunigten Entwicklung postuliert. Fossilen Funden zufolge kann es sowohl lange Phasen der Stabilität geben, als auch schnelle Veränderungen innerhalb der Artengemeinschaft, „und so fragen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aktuell nicht mehr, ob plötzliche Transformation möglich ist, sondern nur noch, ob wir uns gerade in einer solchen befinden“ (S. 35).

Zu Schlüsselarten zählen jene Tiere, welche „für ihre Nachbarn eine übergroße Rolle spielen“ (S. 74). Wenn folglich eine räuberische Art aus ihrem Gebiet verschwindet, kann das Auswirkungen auf die vielen benachbarten Lebewesen haben, indem sich etwa aufgrund des Fehlens der ursprünglichen Fressfeinde das ökologische Gleichgewicht in diesem Gebiet gänzlich verändert. Dass Hanson die Sorgen rund um Schlüsselarten am Beispiel von Seesternen skizziert, hat gute Gründe: Zum einen waren es die Seestern-Experimente des Ökologen Robert Paines, welche den Begriff der Schlüsselarten erst prägten und zum anderen, weil vielen Biolog:innen zufolge die Folgen des Klimawandels im Meer noch dramatischer sind als an Land.

Hitzestress und seine Folgen

In einer sich stetig erwärmenden Umwelt kommen Forscher:innen nicht umhin, sich mit den Auswirkungen von Hitzestress auf die Tier- und Pflanzenwelt auseinanderzusetzen. Wesentlich ist dabei das kritische thermische Maximum, also jene Temperatur, ab welcher ein Organismus nicht mehr überlebensfähig ist. Entgegen der Annahme, dass Lebewesen, die bereits jetzt in sehr heißen Zonen leben, am wenigsten unter der Temperaturzunahme leiden, stammen „die allerersten Warnsignale des Klimawandels von einem geradezu ikonischen Wüstenbewohner“ (S. 67), der Eidechse. Der Forscher Barry Sinervo wurde durch seine jahrzehntelange Forschungsarbeit an Eidechsen eher zufällig auf die Folgen der Klimakrise und die dahinter liegenden Muster aufmerksam. Diese begannen nämlich, die heißesten Forschungsstandorte zunehmend zu verlassen, was den Forscher dazu antrieb, die dahinterliegenden Prozesse zu verstehen: Es genügt, das jeweilige kritische thermische Maximum der Arten sowie die Temperaturentwicklungen in den von ihnen bewohnten Gebieten zu kennen, um Gefährdungslagen und Bewegungsmuster zu berechnen. Eine Erkenntnis, die ihm den Ruf als „Nostradamus des Klimawandels“ (S. 68) einbrachte. Darüber hinaus konnte Sinervo eine weitere Folge von Hitzestress aufzeigen: eine rückläufige Reproduktion. Durch das langsame Ansteigen von Temperaturen ergeben sich zwischen Idealzustand und Hitzetod Bereiche, in welchen sich Lebewesen anpassen können, indem sie Energie – etwa bei der Reproduktion – einsparen. Diese Strategie findet sich nicht nur bei Eidechsen, sondern auch bei Afrikanischen Wildhunden, tropischen Ameisen sowie der herkömmlichen Gartentomate. Mit Blick auf ausbleichende Korallenriffe machten Forscher:innen eine erstaunliche Entdeckung: Die eigentlich aggressiven Falterfische werden aufgrund der Nahrungsknappheit in den sterbenden Korallenriffen binnen weniger Wochen zu friedlichen Pazifisten, anstatt – wie von der Forschung angenommen – sich in Phasen der Nahrungsknappheit aufgrund der Konkurrenz noch aggressiver zu verhalten. Doch auch hier zeigt die Kosten-Nutzen-Rechnung der Natur in Richtung Energiesparmodus.

Move, Adapt, or Die

Move, Adapt or Die – MAD – steht in der Bio-logie für den Spielraum, welchen die Natur angesichts der Klimakrise besitzt. Wanderungsbewegungen stellen gegenwärtig für viele Spezies die primäre Überlebensstrategie dar, denn „über dreißigtausend klimabedingte Verschiebungen von Verbreitungsgebieten seien bereits dokumentiert, darunter die von Libellen, Füchsen, Walen, Plankton“ (S. 112). Der im Buch interviewten Wissenschaftlerin Gretta Pecl zufolge, „erleben wir gerade die größte Artenwanderung seit der letzten Eiszeit“ (S. 112). Und sie führt weiter aus: „Nach vorsichtiger Schätzung also schon ein Viertel allen Lebens auf der Erde“ (S. 112). Wie schnell aber auch Adaptionen möglich sind, zeigt das Beispiel der Anolis-Eidechsen, welche in Gebieten mit vermehrt auftretenden Hurrikanes leben. Diese verfügen im Gegensatz zu ihren Artgenoss:innen in ruhigen Gegenden über eine verbesserte Klammerfähigkeit, um auch im Sturm in Sicherheit zu bleiben.

Wenngleich diese Strategien gegenwärtig ein Überleben sichern, so sind die Maßnahmen doch begrenzt. Dabei verweist Thor Hanson abschließend auf das Zusammenspiel der Faktoren als kritischen Moment: „In Phasen eines sehr schnellen Klimawandels werden seine biologischen Auswirkungen durch andere ökologische Stressfaktoren verstärkt. [...] Die Resilienz hängt stark vom gesamten Umfeld ab – ein beunruhigender Gedanke angesichts der augenblicklichen Klimakrise, in der Ökosysteme bereits mit menschengemachten Stressfaktoren zu kämpfen haben, die weit schlimmer sind als ein paar jagende Horden mit Speeren“ [Anm.: Bezug auf das Artensterben im Pleistozän] (S. 226).