Kira Vinke

Sturmnomaden

Ausgabe: 2023 | 3
Sturmnomaden

Kira Vinke leitet bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin das Zentrum für Klima und Außenpolitik. Mit ihrem Buch möchte sie „den Menschen, die bereits heute in den Kampf mit den Naturgewalten eingetreten sind, eine Stimme geben“ (S. 9). Dafür kann sie auf viele Jahre einschlägiger Forschung im Rahmen des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung zurückgreifen.

Diverse Perspektiven

Nach einem ersten einleitenden Kapitel beleuchtet das Kapitel 2 rechtliche Aspekte im Kontext Klimamigration. Dazu gehören nicht nur Über-legungen zum besseren Schutz von Klimamigrant:innen, sondern auch ein Überblick über Klimaklagen (wie das Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts 2021, wonach die Bundesregierung im Sinne der Generationengerechtigkeit zu mehr Klimaschutz verpflichtet wird) und neu entstehende rechtliche Fragen (wie zu Staaten ohne Territorium, im Zusammenhang mit Inselstaaten, deren Landmasse überflutet werden könnte).

Die Kapitel 3 bis 7 beschreiben aktuelle Entwurzelungs- und Nomadisierungsprozesse in verschiedenen Teilen der Welt und bilden das Herzstück der Publikation. Alle beschriebenen Gebiete hat die Autorin selbst besucht und dort mit vielen Menschen Interviews geführt.

Kapitel 3 führt uns in den Pazifik auf die Marshall-Inseln und nach Fidschi, in die Karibik nach Antigua und Barbuda sowie nach Hawaii. Angesichts des steigenden Meeresspiegels und zahlreicher Sturmschäden durch Zyklone oder Hurrikans hat in manchen Kleininselstaaten „der Überlebenskampf bereits begonnen“ (S. 95). In einigen dieser Gebiete stellt sich den Verantwortlichen die Frage, ob es weiterhin Sinn macht, für den Erhalt ihrer Heimat auf internationaler Ebene zu kämpfen oder auch auszuloten, „wie Teile der Bevölkerung unter erträglichen Bedingungen emigrieren können“ (S. 74).

Bezüglich des Klimawandels sind die Herausforderungen in der Sahelzone (Kapitel 4) besonders groß, da Ernteausfälle angesichts weitverbreiteter Armut leicht zu extremem Hunger führen können, was die Migration – zumeist in Nachbarländer – anheizt.

Auf den Philippinen und in Bangladesch (Kapitel 5) haben die Menschen vor allem mit den Folgewirkungen von tropischen Wirbelstürmen zu kämpfen, die in vielen Fällen Auslöser von Binnenmigration sind, wodurch die städtischen Slums weiter anwachsen. Viele „suchen Zuflucht in Notunterkünften und informellen Siedlungen, um beim nächsten Extremwetterereignis wieder weiterziehen zu müssen. Anpassung an den Klimawandel setzt für viele voraus, mobil zu sein, um das eigene Überleben zu sichern“ (S. 165).

Auch im Amazonasbecken lassen sich die Klimawandelfolgen nicht mehr leugnen (Kapitel 6). Am Beispiel des brasilianischen Amazonas-Regenwalds werden die Zusammenhänge zwischen dem globalen Temperaturanstieg und der Reduktion der Artenvielfalt greifbar, eine Entwicklung, die durch die letzte Regierung mit Jair Bolsonaro negativ befeuert wurde.

Besonders einprägsam ist das Kapitel 7, in dem es um die Ahrtalflut 2020 in Deutschland und die Gletscherschmelze in der Schweiz geht. Die Situation im Ahrtal nach der Katastrophe wird so plastisch geschildert, dass man sich mittendrin fühlt, mit allen widersprüchlichen Gefühlen angesichts einer übermächtigen Naturkatastrophe: Wie weitermachen? Bleiben oder wegziehen? Wiederaufbau oder Neuanfang wo anders? Wie und womit finanzieren? Was wird aus zerrissenen Familien- und Freundschaftsbanden? Hier wird nachvollziehbar, welche Entscheidungen jedes Jahr von zig Millionen Menschen weltweit abverlangt werden. Da für die Autorin feststeht, dass es bei ungebremstem Klimawandel global zu mehr Migration kommen wird, plädiert sie dafür, proaktiv Instrumente zu entwickeln, mit denen die internationale Staatengemeinschaft den Schutz von besonders vom Klimawandel betroffenen Personen verbessern könnte, wie z. B. einen „Klima-Pass“, der „für existenziell vom Klimawandel bedrohte Personen frühzeitige, freiheitliche und würdevolle Migrationsoptionen eröffnen“ (S. 242) könnte.

Das Schlusskapitel betont, dass wir angesichts der Komplexität des Klimawandels viele Lösungsansätze brauchen, und dass es wichtig ist, nicht nur auf Initiativen aus Europa und den USA zu blicken. Wichtig sei es, zu verstehen, dass viele dieser Innovationen „für die Mehrheit der Weltbevölkerung keine realisierbaren Optionen“ (S. 281) sind, und deshalb im Globalen Süden lokal entwickelte Strategien wichtig sind, wie z. B. das beschriebene Beispiel einer „Architektur für die Ärmsten“.

Eine zugängliche Lektüre

Trotz des sperrigen Titels sind die „Sturmnomaden“ eine äußerst zugängliche Lektüre. Das Buch liest sich in weiten Strecken als extrem interessanter Reisebericht. Es vermittelt sehr detailreich die Auswirkungen des Klimawandels auf ganz konkrete Menschen, und beschreibt viele Menschen und Aktivitäten, die Hoffnung vermitteln. Ein Buch, dem man möglichst viele Leser:innen wünschen möchte!