Tara Shirvani

Plastikfresser und Turbobäume

Ausgabe: 2023 | 4
Plastikfresser und Turbobäume

Bäume, die zehn Mal mehr CO2 binden als die bisher bekannten, Bakterien, die das im Meer treibende Plastik auffressen, Flugtreibstoff, der aus Industrieabgasen gewonnen wird, Fleisch, das im Labor gezüchtet wird und das Tierleid beendet – soweit einige Versprechungen der synthetischen Biologie. Die junge Forscherin der Oxford University Tara Shirvani stellt in verständlicher Sprache diese neue wissenschaftliche Disziplin vor, die – glaubt man der Autorin – unser aller Leben gerade grundlegend verändert. Ihr Buch „Plastikfresser und Turbobäume“ verspricht uns Antworten auf die Frage, wie wir „das Klima retten, den Müll aus dem Meer holen und den ganzen Rest auch noch glänzend hinbekommen“ (Untertitel).

Was ist nun synthetische Biologie?

Im Unterschied zur Gentechnik werden nicht nur z. B. einzelne Gene von einem zu einem anderen Organismus transferiert, sondern das Ziel der synthetischen Biologie ist es, komplette künstliche biologische Systeme zu erzeugen. Shirvani erklärt es so: „Kurz gesagt basiert alles Leben auf Codes – ähnlich wie die digitale Sprache von Computern. Oder kürzer formuliert: Biologie = Software = Lego“ (S. 29). Warum Lego? Der einfachste Organismus, den wir heute verändern können, sei eine Bakterienzelle. Man könne sich „das Innenleben eines Bakteriums wie ein Auto aus Lego vorstellen, das zerlegt und wieder neu als Rakete zusammengebaut wird“ (S. 31f.).

Die Oxford-Wissenschaftlerin beschreibt insbesondere mögliche zukünftige Anwendungsfelder im Kontext von Klima und Nachhaltigkeit. Den aktuellen Problemen mit den herkömmlichen Technologien und Praktiken stellt sie die Zukunftschancen durch synthetische Biologie gegenüber. So würden derzeit jedes Jahr 4,4 Milliarden Tonnen Beton verbaut und dabei 2,8 Mrd. Tonnen CO2 ausgestoßen. Analog dem Zement der Muscheln sollen nun umgebaute Bakterien dazu gebracht werden, „innerhalb von zwei bis drei Tagen Zement herzustellen“ (S. 19). Zudem soll selbstreparierender Beton geschaffen werden, der Risse in Bauten eigenständig schließt. Als weitere Beispiele beschreibt Shirvani „veganes Leder“ (S. 49), das bereits industriell hergestellt werde, oder im Labor erzeugte Spinnenseide, die in Sportschuhen und Outdoor-Kleidung verwendet wird.

Weg aus der Klimakrise

Um der Klimakrise noch zeitgerecht entgegenzuwirken, setzt die Wissenschaftlerin auf „Photosynthese 2.0“ (S. 68) bzw. Turbobäume: In den USA wurden mithilfe eines Bakteriums Gene aus Kürbissen und Grünalgen in Hybridpappeln eingefügt: „Diese Änderungen sollen die Bäume effizienter in der Photosynthese machen“ (ebd.). Die neuen Bäume würden schneller wachsen und bedeutend größer werden. Erste Versuche gibt es in stillgelegten Bergwerksarealen. Die „Superbaum-Typen“ seien zusätzlich mit einer Metallspeichereigenschaft ausgestattet, um vergiftete Böden zu reinigen (vgl. S. 73). Als weiteres Problem schildert Shirvani die Plastikflut unserer Konsumzivilisation: „Eine Handvoll Mikroben hat nun die Fähigkeit entwickelt, Kunststoffe zu ‚fressen‘ und sie in ihre einzelnen Moleküle aufzuspalten“ (S. 89). Das Kunststoffrecycling würde so revolutioniert. Zudem werde es zu einer „Revolution der Bio-Materialien“ (S. 95) kommen, die alle Produkte ersetzen, die unter Zuhilfenahme von Erdöl produziert werden. An mittels Fermenter kultiviertem Fleisch wird bereits gearbeitet; die US-amerikanische Lebensmittel- und Arzneimittelbehörde hat bereits grünes Licht gegeben. Laut dem von der Autorin zitierten Pionier der synthetischen Biologie, George Church von der Harvard University, würden wir Fleisch in Zukunft in der eigenen Küche produzieren.

Nur am Rande geht Shirvani auf mögliche Risiken ein; sie sieht vor allem Vorteile: „Wir stehen zum ersten Mal nach dem Siegeszug des Computers wieder an einer echten Zeitenwende. Wir können die Möglichkeiten jetzt nutzen und alles wieder hinbekommen, was wir in diesem zum Teil wahnwitzigen letzten Jahrhundert alles zerstört haben“ (S. 107).

Profitinteressen und Kostenfragen

Insgesamt ist die synthetische Biologie vielversprechend. Sie wirft aber auch ethische und sicherheitsrelevante Bedenken auf. Dass es hier auch große Profitinteressen gibt, macht die Autorin selbst an ihrer kurzzeitigen Mitarbeit bei einem Hedge-Fonds-Manager deutlich. Im Anhang des Buches werden zahlreiche Studien angeführt. Wenig erfährt man aber über die Kosten all dieser Innovationen – noch ist die Natur die kostengünstigste Dienstleisterin. Die USA und China pumpen derzeit Milliarden in die entsprechende Forschung, Europa hinke weit hinterher, kritisiert Shirvani. Einen ersten Anlauf unternimmt nun die EU-Kommission: Sie möchte „grüne Technik“ für Lebensmittel freigeben, da die neuen Verfahren mittels Genschere genauer seien als die konventionellen Mutationen durch Bestrahlung.