Die Isolation Serbiens vollzog sich in den letzten Jahren auf zwei Ebenen. Die Ächtung eines Landes, deren Eliten für den Krieg im ehemaligen Jugoslawien hauptverantwortlich waren, galt als Konsens in der öffentlichen Meinung Westeuropas, unterstützt und geschürt nicht nur von Boulevardpresse und konservativer Politik, sondern auch von Menschenrechts- und Friedensorganisationen wie etwa der "Gesellschaft für bedrohte Völker". Doch nicht nur die verantwortlichen Eliten waren von diesem Boykott betroffen, auch die zivile Gesellschaft in Serbien wurde in der Unterstützung, ja sogar in der Wahrnehmung gegenüber ihren kroatischen und bosnischen Pendants kraß vernachlässigt oder ignoriert. Erst mit dem spektakulären Auftreten der Oppositions- und Studentenbewegung im Herbst 1996 wurde die jahrelang mit dem Makel der Erfolglosigkeit behaftete Demokratiebewegung Serbiens öffentlich wahrgenommen und breit analysiert. Dem Wieser Verlag ist es dabei gelungen, Essays von Autorinnen zu sammeln, die nicht erst in den letzten Monaten die zivile Gesellschaft Serbiens repräsentierten. Dabei lohnt nicht nur die Lektüre der Beiträge von auch in Österreich klingenden Namen wie Vesna Pesic, Bogdan Bogdanovic oder Ivanj Ivanji. Von besonderer analytischer Schärfe zeichnet sich z. B. die Systemkritik des Belgrader Soziologen Srbobran Brankovic aus, der in seinem Beitrag "Das perfekte System" sich etwa mit der Frage auseinandersetzt, wie es dazu kommt, daß die Menschen ihre Henker auch nach dem Zusammenbruch des zivilen Lebens, trotz Isolation und Armut immer wieder wählen und verherrlichen. H. P. G.
Verschwiegenes Serbien. Stimmen für die Zukunft? Hrsg. v. Irina Slosar: Klagenfurt (u.a.): Wieser-Verl., 1997. 328 S., DM / sFr 38,- / öS 298