Die Demokratie in Indien ist in Gefahr. Das zeigen Debasish Roy Chowdhury und John Keane in ihrem Buch „To Kill a Democracy“. Chowdhury ist Journalist in Hongkong, Keane Professor für Politik in Sydney. Beide sind nicht nur Kenner der Politik Indiens, sondern auch der Geschichte und vor allem der Sozialstruktur des Landes.
Der Untergang von Demokratien muss neu gedacht werden
Es heißt, es gebe zwei Arten, wie Demokratien zu ihrem Ende kämen. Zum einen den plötzlichen Tod. Das kann durch einen Militärputsch, eine Invasion oder eine andere Art der Ausschaltung des Parlaments eintreten. Zum anderen kann es zum Untergang von Demokratien in einem langsamen Prozesse kommen. Um diesen zu verstehen, richtet man den Blick auf die Machtkämpfe in den Institutionen des Staates. Diese eskalieren in der schrittweisen Zerstörung demokratischer Elemente. „Democide happens because it is chosen by political actors in political circumstances not of their choosing.“ (S. 24) Die Autoren argumentieren, dass diese beiden Erzählungen vom Ende der Demokratie etwas gemeinsam haben: Beide sehen eine Hauptdynamik in den politischen Auseinandersetzungen. Wenn es um die politische Auseinandersetzung geht, steht Indien gut da. Seit der Unabhängigkeit wurde in dem Land 1975 ein einziges Mal die Demokratie in Frage gestellt. Auf den ersten Blick erscheint Indien also sehr stabil.
Leider muss man den Untergang von Demokratie neu denken, so die Autoren. Ein neuer nicht offiziell ausgerufener politischer Notstand sei zu konstatieren. Dieser resultiere nicht zuerst aus den politischen Verwerfungen, sondern aus dem langsamen Verfall der sozialen Basis.
Die Autoren legen dar, wie das tägliche Leben vieler einfacher Bürger:innen schlechter wird. Sie berichten vom mangelnden Zugang zu adäquater Gesundheitsversorgung, Hungersnöten, einem katastrophalen Transportsystem, Gewalt und Arbeitsrealitäten, die oft mit Sklaverei vergleichbar sind. Wenn eine Demokratie Freiheit und Gleichheit verspricht, aber einen unerträglichen Alltag bietet, öffnen sich die Tore für Demagogie und die Mobilisierung gegen die Demokratie.
Debasish Roy Chowdhury und John Keane beschreiben, was dann passieren kann: „A cunning and tightly disciplined political party, behaving as if it has a hotline to ‚the people‘, begins to win elections. Millions of dissatisfied people find its message attractive. Victory grants the party and its leaders capture and control of the decaying institution of government. Electoral success convinces them that governing necessitates more than strengthening their loyal base of willing followers. Winning office tempts them to begin kidnapping the legislature, the courts, and other key state institution, to exploit their weaknesses and profit from their remaining strengths, and to outflank and politically crush their listless opponents. […] With the backing of men in uniform and investigative agencies, and few whiffs of tear gas, the government of ‚the people‘ begins to swoop like a hawk on its opponents. […] Elective despotism prevails. Elections become rowdy plebiscites. Politics morphs into spectacles, permanent campaigning and vote harvesting by the dominant party led by a demagogue messiah.“ (S. 263f.)
Indien auf dem Weg in die Despotie
Die Autoren meinen, dass Indien auf dem Weg in eine Despotie sei. In dem Buch kontrastieren sie diese Gefährdung mit der Entwicklung der vergangenen Jahre und meinen: „India is showing how despotism happens, or might happen, if the supporters of what remains of its democracy allow it to happen.“ (S. 266) Aber nicht alles ist verloren. Vor allem die Diversität Indiens macht den Autoren Hoffnung. „India’s plurality of languages, ethnicities, caste and class divisions, and other identities also doesn’t lend itself to political monotheism. Pluralism is intrinsic to India’s being.“ (S. 285)