Jonas Schaible

Jonas Schaible: Demokratie im Feuer

Ausgabe: 2024 | 1
Jonas Schaible: Demokratie im Feuer

Ist die Klimakrise demokratisch bewältigbar? Wenn überhaupt, dann nur demokratisch, schreibt der Klimajournalist und Spiegel-Hauptstadtredakteur Jonas Schaible. Er nimmt dabei einen Diskussionsfaden auf, der nach Michael Ignatieffs 2020 erschienenem Aufsatz „Liberalism in the Anthropocene“ oder Felix Heidenreichs ebenfalls 2023 erschienenem Buch „Nachhaltigkeit und Demokratie“ kritischer denn je ist.

Schaible wird dieser kritischen Aktualität im ersten Teil seines knapp 300-seitigen Buches auch gleich gerecht, wenn er nüchtern und schonungslos das Ausmaß dessen beschreibt, was uns und unsere Nachkommen in einer 1,5-, 2- oder 3-Grad-Welt erwarten würde. Anhand des Beispiels Kaliforniens zeigt er auf, dass unsere Welt aus Fortschrittsglaube und grenzenloser Wachstumsfantasie bereits untergegangen, das Holozän als menschenfreundliche Klimaära, die Hochkulturen, Großreiche und technologischen Fortschritt ermöglicht hat, vorbei ist. Es drohe der Verlust der „menschlichen Nische“, und zwar innerhalb eines Zeitraums, den die Kinder der heutigen Kinder erleben würden. Anschaulich und leicht verständlich und dadurch umso verstörender präsentiert Schaible den wissenschaftlichen Kenntnisstand über mögliche Zukünfte in einer überhitzten Welt. „Die Größe der Krise zu sehen, ist eine beständige aktive Handlung, die nicht aus der Übung geraten darf“ (S. 111), schreibt er in einem späteren Kapitel, wenn es um die Dimension der notwendigen Transformation geht.

Schaible stellt den Begriff der Freiheit in den Mittelpunkt seiner Argumentation. Nicht der völlige Untergang der menschlichen Spezies stehe zunächst zu befürchten, sondern der Verlust jener Gesellschaftsform, die ihren Angehörigen durch Absicherung von Grundbedürfnissen und eine von bürgerlichen Freiheiten und Rechtsstaatlichkeit stabilisierte, politische Ordnung noch realistische Formen von Selbstbestimmtheit bieten kann. „Ein legitimes Herrschaftssystem kann nur eines sein, das die gemeinsame und gleichberechtigte Suche aller nach der Antwort auf diese eine Frage ermöglicht: Wie wollen wir leben?“ (S. 81).

Diktaturen schützen die Umwelt nicht

Eine solche Ordnung werde selbst bei verhältnismäßig kleinen Änderungen des Klimas schnell prekär, weil die Reparatur von Umweltschäden, brüchig gewordene Lieferketten, Ernte- und Stromausfälle den politischen Handlungsspielraum sehr schnell ausschöpfen würden. Die Notmaßnahme würde zum Dauerzustand. Es drohten Revolten, der Machtgewinn autoritärer Parteien, Militarisierung, Verhärmung von Gesellschaften, nationalistische Abschottung, Krieg oder Bürgerkrieg. Dass eine Diktatur diesen Verlust mit Zwangsmaßnahmen nicht verhindern könne, erkläre sich dabei von selbst. Schaible unterstützt dieses begriffliche Argument mit anschaulichen Beispielen und reichhaltiger Evidenz, dass Diktaturen den karbonisierten Raubbau eher beschleunigen, denn eindämmen würden.

Demokratische Freiheiten könnten also nur gerettet werden, indem die physikalischen Grundlagen der Klimakrise anerkannt und außer Streit gestellt werden, und der CO2-Ausstoß so schnell und viel wie möglich so viel wie möglich reduziert wird. Obwohl Demokratien beim Klimaschutz fast immer besser abschneiden als Diktaturen, sei dieser schwierig, weil Demokratie von Ergebnisoffenheit, Revidierbarkeit und Kompromissfähigkeit politischer Prozesse ausgehe. Die physikalischen Grundlagen der Erderhitzung seien aber nicht verhandelbar.

Schaible plädiert daher für die Transformation einer Demokratie, die unter den Bedingungen des demokratischen Extraktivismus entstanden ist, hin zu einer „wehrhaften Klimademokratie“ in einer dekarbonisierten Welt und klopft diejenigen Institutionen, die unsere Demokratie ausmachen, nach klimaschützenden Optionen ab. Seine Vorschläge reichen dabei von nach Zufallsprinzip ausgewählten Klimaräten über eine Wahlrechtsreform zugunsten künftiger Generationen, eine CO2-Bremse als verfassungsrechtlich einklagbares Grundrecht, parlamentarischen Sonderausschüssen und verbesserten Gesetzesfolgenabschätzungen bis hin zu Klimabehörden mit Vetorecht gegen gesetzliche Maßnahmen und Regierungsakte. Für diesen Wandel hält Schaible sowohl den Druck von unten in Form von klimaneutralen Kommunen und zivilgesellschaftlicher Meinungsbildung als auch die Änderung von Strukturen von oben für notwendig.

Ein Buch, das Aufmerksamkeit verdient

Das Buch verdient schon allein deshalb Aufmerksamkeit, weil es das versucht, was sonst nur wenige versuchen: Einen Plan zu skizzieren, wie demokratisch verfasste Staaten jetzt noch wirksamen Klimaschutz realisieren und dabei Strahlkraft für eine gute Zukunft erzeugen können. Deshalb kann es in seinem Fazit auch überzeugen: Dass Klimaschutz nicht auch, sondern nur demokratisch möglich ist.