In ihrem Essay geht Schönberger auf die Probleme ein, die mit der Demokratie weltweit zuzunehmen scheinen: geringe Wahlbeteiligung, Populismus und das Erstarken rechter (radikaler) Parteien. Und sie sucht nach den Ursachen im Kontext der Demokratie als politischem System – der Gesellschaft. Sie stellt fest, dass sich seit der Etablierung moderner Demokratien das Selbstverständnis des Einzelnen in der Gesellschaft verändert hat. Wir haben eine Welle der Individualisierung erlebt, in der die Selbstoptimierung – also auch die Abgrenzung von anderen – zu einer Hauptprämisse geworden ist. Diese Prämisse der Identitätsbildung lebt vom Vergleich und damit zum Teil auch von der Abwertung des Anderen.
Eine Kernprämisse der Demokratie ist aber das Aushalten des Anderen – und von Anderen (in diesem Fall Minderheiten), sowie das Aushalten von Mehrheitsentscheidungen. Beides scheint im Zeitalter der Individualisierung schwer erträglich. Die Folge sind Phänomene wie „Cancel Culture“, hitzige Diskussionen über „Political Correctness“ und insgesamt das Gefühl, dass sich die Gesellschaft zusehends spaltet.
Die Digitalisierung als Katalysator
Neben der subjektiven Verfasstheit der Gesellschaftsmitglieder identifiziert Schönberger auch die Digitalisierung als Katalysator dieser Entwicklung. Aushalten will geübt sein. In einer Welt, in der sich die Arenen der Aushandlung zunehmend ins Digitale verlagern, muss nicht ausgehalten werden. Im Gegenteil: Es kann zu unversöhnlichen Auseinandersetzungen kommen, die ein Miteinander, geschweige denn ein gegenseitiges Aushalten, nahezu unmöglich machen.
Damit haben sich zwei Voraussetzungen für Demokratie verändert: Unsere subjektive Einordnung und die Orte, an denen Demokratie stattfindet. Die so entstandene Zumutung bedarf der Entlastung – und die bietet auf leicht verdauliche Weise der Populismus oder die Verschwörungstheorie, wie es Schönberger in der Analyse der jüngsten Vergangenheit bestätigt sieht.
Auf der Suche nach Alternativen
In den Kapiteln „Miteinander regieren“, „Miteinander reden“ und „Miteinander leben“ sucht sie deshalb nach Alternativen zu den vermeintlich einfachen Entlastungsangeboten. Sie zeigt auf, wo Demokratie noch gelebt wird und wo sich zum Teil beunruhigende Veränderungen vollziehen. Vor allem aber plädiert sie hier dafür, Arenen zu schaffen, in denen das Aushalten des Anderen geübt werden kann; Orte der Begegnung, in denen sich Gruppen mischen und das Aushalten neu gelernt wird; ein Gegenentwurf zur zunehmenden Entkoppelung sozialer Interaktion durch Digitalisierung und Pandemie.
Die Analyse, warum Demokratie zum Teil so unbequem geworden ist (ob sie es je nicht war, bleibt zu diskutieren), ist einleuchtend und wirkt an sich entlastend. Schönbergs Vorschlag, darauf zu reagieren und das Ausblenden weiterer Faktoren im Zusammenhang mit Demokratieverdrossenheit (z. B. Inhalte und Handlungen der demokratisch gewählten Vertretung) wirken jedoch etwas eindimensional. Ein starker Auftakt mit einem Ausblick, der Raum für Diskussionen lässt.