Freiheit und Unruhe

Ausgabe: 2015 | 4

Wenn sich auch viele Autoren einig sind, dass Freiheit zu verteidigen ist, so gibt es doch Kritiker, die die westliche Lebensweise in Frage stellen. Man redet von Hektik, Stress, Ruhelosigkeit. Es gab eine Zeit, die Antike, in der die Seelenruhe das Ideal war. Heute ist das anders. Wer sich nicht bewegt, fällt zurück, wer sich nicht verändert, kommt mit einer sich erneuernden Umwelt nicht zurecht. Der Philosoph Ralf Konersmann macht sich in seinem Buch "Die Unruhe der Welt" Gedanken über diese Veränderung.

Dabei kommt er nicht zu den Ergebnissen, die man erwartet hätte. Nein, es folgen nicht 461 Seiten an Klagen über Verlust. "Angesichts dieser Vorgeschichte halte ich die verbreitete Vorstellung, die Unruhe sei in Gestalt der Beschleunigung oder der Gier in die eben noch intakte Welt eingebrochen, in die Welt des Ursprungs und der natürlichen Geborgenheit, für verfehlt." (S. 319) Solche Vorstellungen würden sich immer an ein zentrales altes Motiv klammern: Den Verlust des Paradieses. Die Unruhe sei jedoch etwas anderes: das bewusste Programm der westlichen Kultur, in der Ruhe als Lethargie, als Lähmung und Stillstand unter Verdacht seht, sie ist nicht Defekt oder Verwirrung, sondern Ausdruck der bewusst erwünschten Veränderung. "Dass wir die Dinge nicht auf sich beruhen lassen, ist ausgemacht, und eben diese Ausgemachtheit, ihre Geräuschlosigkeit, bildet den negativen und gerade als diese Negativität zur Absolutheit fähigen Konsens der Moderne." (S. 318) Konersmann spricht von einer Opposition zwischen dem ursprünglichen Mythos und diesem Anspruch der Moderne.

Die Gefahr, die er für die Moderne konstatiert, ist ihre "Unentrinnbarkeit". "Statt sich jedoch als Positivität zu setzen und zu erklären, was mit dem Übertritt in die nicht mehr dem Ideal des Stillstands ausgerichtete Kulturwirklichkeit getan war, ist sie eine schlechte Unendlichkeit geworden." Nun laufe die Unruhe leer, und in dem Bemühen, diese Leere mit Amüsement und Zerstreuung zu füllen, werde das Leben kurz. (S. 327)

Konersmann sieht aber Möglichkeiten. "Es ist nicht wahr, dass die Gegenwart vor der Alternative stünde: irre Beschleunigung oder ängstliches Anklammern an das Bestehende. 'So eile denn zufrieden!' hat Hölderlin, der Jugendfreund Hegels, der eben aufbrechenden Moderne zugerufen." Mit Hölderlin spricht Konersmann sich dafür aus, sich auf das Eilen einzulassen - aus Zufriedenheit. Dabei trete eine zweite Ruhe hervor, die jederzeit mit uns geht; und ihr zur Seite eine sich selbst verstehende Unruhe, die ihr Maß kennt.

Konersmann, Ralf: Die Unruhe der Welt. Frankfurt/M.: S. Fischer, 2015. 461 S.,

€ 24,99 [D], 25,70 [A] ; ISBN 978-3-100383006