Claudia Kemfert, Julien Gupta, Manuel Kronenberg (Hg.)

Unlearn CO2

Ausgabe: 2025 | 3
Unlearn CO2

„Unlearn Patriarchy“, der Titel dieses vor zwei Jahren erschienenen Buchs hat deutlich gemacht: Es geht darum, alte und eingespielte Denkmuster und Verhaltensweisen zu durchbrechen. Sie zu entlernen, indem man die alten mit neuen Mustern überschreibt. Das galt für das Patriarchat, und genau darum geht es auch beim Klima: Nicht nur darum, CO2 zu reduzieren, sondern unsere tiefe Verstrickung in eine Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu lösen, ja, diese oftmals erst einmal zu erkennen. Denn vieles daran ist selbstverständlich geworden. Hat Eingang gefunden in das alltägliche Leben der Menschen. Und hat ein Anspruchsdenken begründet, das viele Verhaltensweisen auf normal gesetzt hat, die nur durch eine Ausbeutung der Ressourcen des Planeten funktionieren können. Diese Denkmuster und Verhaltensweisen sind fest verwurzelt im Alltagsverhalten der Menschen und sie sind eingesickert in politische Präferenzen, die wiederum andere weitergehende Entscheidungen nach sich ziehen. Kurzum: „Es geht um viel mehr als um weniger CO2“, (S. 9) schreiben Claudia Kemfert, Julien Gupta und Manuel Kronenberg im Intro des von ihnen herausgegebenen Sammelbandes „Unlearn CO2“. Es geht um ein fossiles System. Die Klimakrise „durchzieht alle Bereiche unseres Lebens“ (S. 8f.) „Das bedeutet, dass wir uns in allen Bereichen für den Wandel einsetzen können und müssen.“ (S. 9)

Entsprechend führen die 14 kurzen Essays des Bandes quer durch unterschiedliche gesellschaftliche Bereiche und Themen. Sie handeln von Verdrängung, Ernährung, Ableismus (die Bewertung von Menschen nach ihrer Leistungsfähigkeit), Medien, Recht, Automobilität, Wachstum, Mode, Desinformation, Arbeit, Wetter, Patriarchat, Energie sowie Gesundheit – das sind die Themen, die jeweils mit einem vorangestellten „Unlearn“ die Kapitelüberschriften ergeben. Die Autor:innen  wollen mit ihren konstruktiv gehaltenen Beiträgen zeigen, „dass Veränderung nicht nur möglich ist, sondern längst passiert“ (S. 7),  möchten dazu inspirieren, daran teilzuhaben. Und wollen deutlich machen, „dass Klimaschutz kein großer Berg an Aufgaben ist, den wir alle einzeln mit nachhaltigem Konsum und viel Disziplin erklimmen müssen. Der Weg führt vielmehr über kollektive und systemische Ansätze“ (S. 8). Der Fokus liegt darauf, „wie viel heute schon getan wird, um die Welt zu einem lebenswerteren und gesünderen Ort zu machen“. Das ist ersichtlich ein anderer Tonfall als die wiederholte Warnung vor der Klimakatastrophe.

Die themenorientierte Form bewirkt zudem eine Konkretisierung: Im Vordergrund stehen die Auswirkungen der Klimaerwärmung und mögliche Gegenstrategien in ganz bestimmten Bereichen. Ernährung etwa, Mobilität oder regenerative Stromerzeugung im Eigenbau. Und es werden Widerstände angesprochen und thematisiert. So beschäftigt sich der Beitrag des Klimawissenschaftlers Stefan Rahmstorf vor allem mit unterschiedlichen Spielarten der Wissenschaftsleugnung, und die Psychologin Katharina van Bronswijk fragt in ihrem Essay, warum viele Menschen die Klimakrise verdrängen. Ihre Antwort: Die Angst vor dem Verlust von Status und Privilegien durch die nötige Veränderung unserer Lebensweise. Sie nennt das: Transformationsangst. Die Journalisten Julien Gupta und Manuel Kronenberg wiederum spüren den größten Missverständnissen und der Verbreitung „fossiler Märchen“ in der Klimaberichterstattung nach. Die Nagelprobe ist natürlich die Wirtschaft. Diesen Part hat Klimaökonomin Claudia Kemfert übernommen. Sie sucht unter dem Stichwort einer „vorsorgeorientierten Postwachstumsökonomie“ nach einer Strategie, die tragfähige Ansätze von Effizienz (Wachstum), Suffizienz (Verzicht) und Konsistenz (Kreislaufwirtschaft) vereint. Sie begibt sich auf die Suche nach einem differenzierten, positiven Wachstumsbegriff: „Es gibt Formen des Wachstums, die etwas Wunderbares, die erfreulich sind.“ Im Umweltschutz, in der Bildung, bei Gleichberechtigung, Respekt und Miteinander zum Beispiel. Die Zukunftsperspektive heißt dann: Wachstum in eine regenerative, umweltverträgliche Wirtschaftsweise: „Der wachsende Einsatz von erneuerbaren Energien,

klimaschonender Mobilität, steigender Gesundheitsvorsorge und Techniken zur Herstellung von sauberem Trinkwasser kann für wachsenden Wohlstand sorgen. Dann wäre Wirtschaftswachstum nicht die Ursache eines globalen Klimawandels, sondern dessen Lösung“ (S. 145).

Das Buch bringt nicht nur ganz unterschiedliche Perspektiven zusammen, es markiert somit auch einen Kipppunkt im Klimadiskurs: Ängste, Bedenken, Widerstände ernst nehmen und nicht besserwisserisch abtun ist die neue Leitlinie – und die positive Vision einer nachhaltigen Wirtschaft herausarbeiten, auch in den persönlichen Konsequenzen. So schreibt Andreas Schmitz über die Do-it-yourself-Energiewende seiner Familie: „Unsere jährlichen Energiekosten für Strom und Heizung sind von grob 4.200 Euro auf 1.300 Euro gesunken. Über das Jahr gesehen erzeugen wir mittlerweile mehr Energie, als wir verbrauchen“. Das Buch auf den Punkt gebracht im Intro: „Unlearn CO2 heißt, zu verstehen, wie wir das fossile System überwinden können“ – individuell, kollektiv und politisch (S. 9).