Virginia Mendoza

Die Suche nach Wasser

Ausgabe: 2025 | 4
Die Suche nach Wasser

Virginia Mendozas Menschheitsgeschichte beginnt mit dem Quell allen Lebens: dem Wasser. Oder der Suche nach dem Wasser. Wie die Metapher zeigt, ist das Wasser nicht nur der Ursprung, aus dem wir geschaffen sind, mit dem wir in der Welt sind, sondern auch etwas, nach dem wir ständig suchen müssen. Der Quell des Lebens ist nicht einfach da, er muss gesucht und gefunden und gehalten werden. So schreibt Mendoza keine Geschichte des Wassers, sondern eine Geschichte des Durstes. Eine Menschheitsgeschichte, die am Fluss Awash mit den ersten uns bekannten Fossilien menschlichen Lebens in Afrika beginnt. Eine Geschichte, so vielgliedrig, so polyphon, dass es die Welt zum Sprudeln bringen würde, könnten wir sie hören. Als erster Antrieb oder Bewegungsgrund des Menschen ist die Suche nach Wasser der Anbeginn jeder Handlung. Denn auch in Brot, Wein, Speck und Milch liegt das Wasser und damit der Hunger. „Das ganze Leben ist durch unsere Beziehung zum Wasser geprägt. In unserer Bindung mit ihm aber lauert immer auch die Angst, dass es uns wieder verlässt“ (S. 14). Unser Durst ist damit immer auch der Historische, dem Mendoca, der uns von Anbeginn begleitet hat, der uns und unsere Umwelt transformiert, uns antreibt, nach dem es uns dürstet. So wird das Leben zum Kreislauf des Durstes: „Weggehen, weil es kein Wasser gibt; weggehen, weil Wasser kommt“ (S. 16).

Eine feministische Erzählpraxis

Das ist die Geschichte, die in unseren Genen gespeichert ist und die wir vergessen, wenn wir den Wasserhahn aufdrehen, so Mendoza. Sie zeichnet ein Bild in Bewegung, ein Bogen bis hin zum Anbeginn der Menschheit, der jedoch durch Erinnerungssplitter an ihre eigene Geschichte und Kindheit gesäumt ist. Eine feministische Erzählpraxis, die Referenzen an Literatur in sich trägt, die Geschichte des Durstes aber auch durch ihre eigene Situierung erfahrbar macht. Durch ihre Kindheit in Terrinches; an die Dürren, an das ausbleibende Wasser, die Vermischung von Durst, Wissen, Animismus und Liebe. Denn La Mancha, Mendozas Heimat, ist eine Gegend der Durstigen, die Durstigen aber Teilen das Schicksal mit den Ertränkten“ (S. 26). Es ist die Heimat von Regenmachern, wie ihrem Großvater, der das Wasser des Dorfes verwaltete. Es ist eine Heimat, in der Rituale und Lieder vom Regen singen und vom Durst, hörbar auf der ganzen Welt, als Echo der immer gleichen Geschichte: Der Durst als genetische Komponente, der Durst und das Wasser als Komponente der Hoffnung, der Heimat, ja sogar der Identität. „Was wenn auch Durst das konditioniert, was wir als Heimat empfinden?“ (S. 20), fragt sie die Lesenden. Der Durst dekliniert eine Abhängigkeit. Nicht nur von Gewässer oder von Regen, sondern von den daraus entstehenden Machtverhältnissen, Umlaufströmen, Techniken. So erzählt Mendoza auch von dem Willen eines einzigen Mannes, von dem der Durst eines ganzen Dorfes abhing. Das Wasser und mit ihr der Durst beinhaltet nicht nur eine schmerzliche Erfahrung. Es ist auch eine Geschichte der Gewalt. Eine Geschichte des Raubbaus, des Kapitalismus, der Unterdrückung. Aber es ist eben auch eine Geschichte unserer Erde. Mendoza zeigt auf, dass nahezu alles, was unsere Spezies ausmacht, in Zeiten klimatischer Veränderungen entstanden ist – geprägt von abwechselnden Phasen der Trockenheit und Feuchtigkeit. Die x-te Klimakrise sollte uns daher nicht überraschen, sagt Mendoza: Wir sind ihre Kinder. Vielleicht aber liegt in unserer Überraschung auch ein Moment der Schuld. Denn wir müssen erkennen, dass wir Teil davon sind – dass es der Durst ist, der uns erneut vertreiben wird. Dass wir gehen müssen, weil es uns dürstet. Doch einige werden früher gehen müssen als andere…

Ein eindringliches, vielschichtiges Buch

Mendozas Buch ist kein klassischer Essay, keine wissenschaftliche Abhandlung. Es sind Geschichten in Geschichten – über den Durst. Und zugleich ist es ein Appell: ein Appell an das Zuhören, das Verstehen, das Begreifen dessen, was Durst ist. Das der Durst in uns ist.

Eine eindringliche, vielschichtige Erzählung über den Menschen im Spannungsfeld seines elementarsten Bedürfnisses: dem Durst. Die Wiederholungen sind kein Makel, sondern ein erzählerisches Echo – sie verweisen darauf, wie unausweichlich sich der Durst und das Wasser in jeder Geschichte erneut Bahn bricht.