Iris Därmann

Undienlichkeit

Ausgabe: 2021 | 2
Undienlichkeit

Die Kulturwissenschaftlerin und Philosophin Iris Därmann will mit ihrem Buch Undienlichkeit erreichen, dass wir eine neue Perspektive auf die Geschichte der Unterdrückung werfen. Sie lenkt unsere Aufmerksamkeit dabei auf Menschen, die sich einer Situation extremer Gewalt und Unfreiheit befanden, wie sie es für die Sklaverei und Vernichtungslager beschreibt. Doch diese versklavten, gefolterten und/oder rassistisch erniedrigten Menschen hätten jeweils eigene Formen des Widerstands entwickelt. Diesen will die Autorin Würde verleihen, weil sie oft vernachlässigt werden.

Es war das Sich-undienlich-Machen, mit dem auch in extremen Situationen der Unterdrückung und Ausbeutung entgegengetreten wurde. Der Suizid, die Flucht, die Trauer um Verstorbene, die Dokumentation des Geschehens wurden in diesen Gewalträumen eingesetzt, um Gewalt nicht restlos erfolgreich sein zu lassen. Aber in der abendländischen Philosophie gehöre der Begriff der ‚Passivität‘ sicherlich zu den am stärksten marginalisierten Konzepten, zitiert sie Kathrin Busch von der Universität der Künste in Berlin. Därmann schreibt eine Geschichte dieses Widerstands, vor allem anhand von Berichten von versklavten Menschen.

Der menschliche Körper ist für Därmann der Angriffspunkt dieser Gewalt. Es gehe den Peinigern darum, die Menschen zu verdinglichen oder zu animalisieren. Die Tätowierung der Opfer etwa diene dazu, Menschen auf Körper zu reduzieren, zu Nummern und/oder zu Waren zu machen. Undienlich zu sein, werde in dieser Situation zu einer Form des Widerstands.

Widerstandsformen werden in der Politischen Philosophie vernachlässigt

Därmann fragt, warum in der Politischen Philosophie diese Formen des Widerstands so wenig Aufmerksamkeit fanden. Sie setzt sich hier mit Karl Marx aber auch mit Hannah Arendt auseinander. Bei Marx stellt sie fest, dass dieser die Sklaverei vor allem als Kontrast zur Lohnarbeit im Europa seiner Zeit wahrnahm, um zu zeigen, wie schlecht die Lage der britischen Arbeiterklasse (selbst im Vergleich zu Versklavten) sei. Marx‘ Geschichtsphilosophie erwartete Fortschritt von der Revolution der Arbeiterklasse, Sklavinnen und Sklaven spielten hier nur mehr eine Nebenrolle und damit auch das Leben und die Widerstandspraxis beispielsweise auf den Plantagen und in der häuslichen Dienst-leistung.  Selbst die von Versklavten getragene Revolution in Haiti fand bei Marx kaum Aufmerksamkeit. (S. 162) Die Widerstandsform der Undienlichkeit spielte bei Marx keine Rolle. „Marx‘ Freiheit schließt gerade nicht die Freiheit und die Fähigkeit ein, etwas nicht zu tun und nicht zu können, mithin die Fähigkeit, etwas zu unterlassen.“  (S. 181) Bei Arendt, so Därmann, gelte es, das Passive zu überwinden, denn dies sei „bloßes Leben“. Därmann sagt dagegen: Das Politische in Extremsituationen müsse nicht nur von der Natalität des Rettungs- und Überlebenswiderstands, sondern auch von der Mortalität und der Transivität des Todes gedacht werden. Der Freitod als Form des sich Undienlichmachens. (S. 303)

Das politische Denken und Rassismus

Es geht der Autorin aber nicht nur um die Vernachlässigung dieser Widerstandspraxis durch die Politische Philosophie. Vielmehr zeigt sie, wie stark das politische Denken des Westens auf Philosophen aufbaut, die die Sklaverei rechtfertigen und legitimieren. Därmann nennt Aristoteles, für den „Sklavendressur“ darin bestand, einen Menschen zu einem vernunft- und willenlosen Automaten zu verwandeln. (S. 40) Sie liest uns aus den Korinther-Briefen des Paulus vor, der den Sklavenstand auf Erden legitimiert, auch wenn alle gemeinsam Sklaven des Herren sein sollen. (S. 48) Thomas Hobbes sieht zwar keinen Menschen als Sklaven geboren, unter Bedingungen des kriegerischen Naturzustandes sei aber Versklavung ein legitimes Mittel, denn die Sklaverei sei nichts anderes, als dass die siegreiche Partei die Gnade des Lebens gewähre. (S. 75) Hobbes war Mitglied der Somer Island Company, die die Kolonialisierung auf den Bermudas organisierte und auch Anteilseigner der Virginia Company. Seine politische Philosophie ist geleichzeitig die rechtsphilosophische Le-gitimation der englischen Kolonialisierung Nordamerikas. (S. 59) Auch John Locke denkt ähnlich: „Im kriegerischen Naturzustand ‚Gerechtigkeit‘ zu üben heißt für Locke, den Angreifer wie ‚jedes andere wilde Tier oder schädliche Vieh‘ zu ‚vernichten‘ oder aber in einem ‚fortgesetzten Kriegszustand‘ zu versklaven, um ihn des Selbstbesitzes und alles dessen zu berauben, was ihm gehört“ (S. 100f.). Damit war es für Locke wohl auch vertretbar, Anteilseig-ner der Royal African Company, einer Nachfolgeorganisation der Company of Royal Adventures Trading into Africa, zu sein, was ihm erhebliche Gewinne aus dem transatlantischen Sklavenhandel beschert hatte. So schließt sich der Kreis.