Über Erkenntnis. Zwei Dialoge

Ausgabe: 1993 | 1

Payl Feyerabend, der Philosoph des "anything goes" - Kritiker nannten ihn einst Hofnarr, Analphabet, Stechfliege Gottes oder auch dünnbrüstigen Epikureer - führt in seinen "gedruckten Ausschweifungen" Selbstgespräche in Form fiktiver Dialoge. Den Leser erwarten unkonventionelle, polemische und zum Teil provokante Denkanstöße - keine "tiefen Überzeugungen" - für eine andere Sichtweise des Status quo. Ergänzt wurden diese aktualisierten Beiträge (der erste Dialog datiert aus dem Jahre 1976) um einen kurzen Essay über Erkenntnis. In den durchwegs kurzweiligen Texten kommen u.a. Themen wie Astrologie, Medizin, Wissenschaft, Politik, Theater oder die obligatorische Kritik am Kritischen Rationalismus zur Sprache. Es geht auch um Ideen, die mit großen Worten wie Wahrheit, Ehrlichkeit oder Gerechtigkeit ausgedrückt werden. Solche Tugenden sollten nach Ansicht Feyerabends wie Verkehrsregeln gelehrt werden. In der Medizin gelte es, die alten Erkenntnisse wieder einzusetzen, "die vom wissenschaftlichen Chauvinismus zurückgedrängt wurden". Erziehung sollte lediglich Hilfestellung dafür sein, "das eigene Dasein voll und ganz zu entwickeln", denn "warum sollten die Kinder von morgen die führenden Dummköpfe von heute kopieren". Nicht zuletzt stellt Feyerabend die Frage nach der Relevanz von Texten, wenn es darum geht, Probleme unserer Zeit konkret zu lösen. Selbstkritisch räumt er ein, mit seinem Werk dazu nichts beigetragen zu haben, "ein wenig Frieden und Glück in diese Welt zu bringen". Im übrigen läßt sich Relevanz für ihn ohnedies erst im nachhinein bestimmen, "weil Ideen schwächer sind als die sanfteste Brise". "Wir können also nicht mehr tun, als unseren Freunden zuzuhören (sofern wir welche haben), zu lesen, zu musizieren, Fernsehserien anzuschauen (falls wir daran Freude finden), nachzudenken über alles, was um uns herum geschieht, und daraus unsere Schlüsse zu ziehen." Indirekt fordert Feyerabend die Bürger auf, das nutzlose, analphabetische und teure Gerede der Philosophen und Wissenschaftler durch ihre eigenen konkreten Entschlüsse zu ersetzen. Schon vor Jahren Reizworte wie anarchistische Erkenntnistheorie, demokratischer   Relativismus und Partizipation in die Debatte um eine grundlegende philosophischen Kritik an den Mythen des modernen Wissenschaftsaberglaubens eingebracht zu haben, ist ihm zweifelsohne als Verdienst zuzuschreiben. AA

Feyerabend, Paul K.: Über Erkenntnis. Zwei Dialoge. Frankfurt/M. (u.a.): Campus-Verl., 1992. 210 S., DM 28,- / sFr 23, 70/ öS 218,40