Tschernobyl und kein Ende?

Ausgabe: 1997 | 4

Der Anlaß ist bereits über ein Jahr her, das Buch aber (leider) noch immer höchst aktuell. Vom 26.-28. April 1996 fand in Bonn ein großer Kongreß in Erinnerung an 10 Jahre Tschernobyl statt, dessen Ergebnisse der vorliegende Band dokumentiert. Zunächst werden darin (noch einmal) der Ablauf und die Ursachen der Reaktorkatastrophe sowie die Folgen für Mensch und Umwelt einschließlich der Vertuschungsversuche - selbst die IAEA hält bis heute daran fest, daß außer 134 akut Strahlenkranken und 31 Toten keine weiteren strahlungsbedingten Folgen nachgewiesen seien - nachgezeichnet und grundsätzliche Dilemmata der ”nuklearfixierten Risikogesellschaft" erörtert. Dabei geht es um die öffentliche Wahrnehmung von Gefahren (Ulrich Beck kritisiert die gegenwärtige Angstverschiebung auf andere Umweltbereiche, so daß die Marktchancen der Atomtechnologie "sozusagen mit dem Ozonloch" wieder gewachsen seien) ebenso wie um Perspektiven einer fehlerfreundlichen Technik („Gekonnte Kultur" gehe, so Christine v. Weizsäcker, den großen tragischen Alternativen aus dem Wege). Ein dritter Abschnitt ist dem aktuellen Forschungsstand über das Risikopotential der Atomenergie gewidmet. Neben neuen Erkenntnissen hinsichtlich möglicher Unfallszenarien, die etwa zur drastischen Revision jener Frist zwischen Reaktorkernschmelze und dem Zerbersten der Gebäudehülle (von bisher angenommenen zwei  Tagen auf maximal bis zu 4 Stunden) geführt hat, werden hier auch die Strahlenschädigungen durch den Uranbergbau, die Risiken von Atomtransporten sowie insbesondere die völlig ungelöste Frage der "Endlagerung" radioaktiven Materials thematisiert, Das "zivil-militärische Doppelgesicht" der Atomenergie, das Problem "nuklearer Nachrüstung" in Rußland und Osteuropa. die Frage der ”Klimastabilisierung" durch Atomenergie (diese wird von mehreren Autoren verneint) sowie skeptisch beurteilte Hoffnungen auf neuartige nukleare Zukunftstechnologien wie Elementarteilchen-Beschleuniger sind weitere Themen des Bandes, der mit Beiträgen über "Energie-Alternativen" sowie die politischen, wirtschaftlichen und juristischen Aspekte eines Ausstiegs aus der Atomenergie endet. H. H.

Tschernobyl und kein Ende? Argumente für den Ausstieg. Szenarien für Alternativen. Hrsg. v. Wolfgang Liebert ...Münster: Agenda-Verl., 1997. 367 S. (agenda Politik; 9) DM 38, - / sFr 35, - / öS 277

 

Weiterführender Literaturhinweis: Einen Überblick über die Auswirkungen der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl geben Mraz, Gabriele; Wenisch. Antonia: Der Reaktorunfall in Tschernobyl. Darstellung der Folgen für Umwelt und Gesundheit aus der Sicht verschiedener Interessensgruppen. Hrsg. v. Österr. Ökologie-Institut. Wien. 1997. 53 S. + 1 Disk.