Der europäische Gedanke - Selbstbehauptung des Kontinents

Ausgabe: 1998 | 2

Thierry de Montbrial, französischer Experte für internationale Beziehungen, geht davon aus, daß die Zeit der großen Kriege und Konfrontationen vorüber ist und das 21. Jahrhundert entscheidend von der mit der Globalisierung verbundenen Entwicklungen mitgestaltet wird. Das Bevölkerungswachstum wird seiner Ansicht nach in der zukünftigen Weltpolitik durch Migrationsdruck zu einem Problem der Innen- und Außenpolitik.

Hauptgegenstand des Buches sind die internationale Politik im 20. Jahrhundert (1914-1991) auf der Suche nach einem dauerhaften Frieden. Der Autor begründet seine Themenwahl mit dem durchaus nachvollziehbaren Argument, daß die Weichen für die Zukunft in der Vergangenheit und Gegenwart gestellt werden. "Wer sich für die Herausforderungen der Zukunft rüsten will, muß die Gegenwart und die sie prägenden geschichtlichen Entwicklungen nachvollziehen."

Im Zentrum seiner Analyse stehen Fragen nach dem Konflikt zwischen dem Selbstbestimmungsrecht der Völker und deren Bedürfnis nach kollektiver Sicherheit in Europa. Montbrial favorisiert als geeignetes Sicherungssystem bei Anwendung des Subsidiaritätsprinzips die UNO. Für die Rolle der Europäischen Union sieht der Autor durchaus Chancen, wenn deren Strukturen auf ein "gesundes und effizientes Maß gebracht werden, damit alle Bürger Europas ein Zugehörigkeitsgefühl zu einem politischen Gefüge entwickeln, das die Nationalstaaten zusammenschließt und nicht deren Auflösung bewirkt" (S.130).

Insgesamt provozieren die Schlußfolgerungen des Autors aber mehr Fragen als sie Antworten bieten, wie etwa die Annahme, daß die atomare Abschreckung während des Kalten Krieges einen Großteil der Menschheit vor einem wirklichen Krieg bewahrt hat. Auch zählen für Montbrial die "Grenzen des Wachstums" insofern nicht, als er hier Lösungen vom immensen Fortschritt in Wissenschaft und Technik erwartet. Entscheidend für die Zukunft ist für ihn eine Wissenschaft im Dienste des Guten, die die aus ihr hervorgegangenen unheilvollen Folgen überwindet. In diesem Zusammenhang ist nicht nur die Annahme des Autors sehr kritisch zu sehen, wonach die Stunde der Atomenergie "in wenigen Jahren oder Jahrzehnten" kommen wird. Abgesehen von solch zweifelhaften bis problematischen Schlußfolgerungen bleibt es fraglich, ob die geforderte Rückkehr zu spirituellen Werten und zur geistigen Auseinandersetzung vor diesem technokratischen Hintergrund die Dialogfähigkeit fördern kann.

A.A.

Montbrial,  Thierry de: Dialog am Ende des Jahrhunderts. Der europäische Gedanke als Selbstbehauptung eines Kontinents. München (u.a.): Europaverl., 1998. 319S., DM / sFr 46,- / öS 336,-