Eine umfangreiche Geschichte über den „Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft“ haben der Umwelthistoriker Joachim Radkau und der Nuklearexperte Lothar Hahn vorgelegt. Hatte Radkau in seiner Habilitationsschrift aus dem Jahr 1983 noch vom Aufstieg und der Krise der deutschen Atomwirtschaft gesprochen, so müsse heute klar von deren Ende gesprochen werden. Akribisch legt der Historiker den Weg (West-)Deutschlands ins Nuklearzeitalter dar: von den anfänglichen, im Wesentlichen politisch motivierten Anstrengungen – als Kriegsverlierer war Deutschland die atomare Bewaffnung untersagt, was aber einzelne Politiker bis hin zu Adenauer nicht daran hinderte, ihre militärischen Ambitionen im Zusammenhang mit der Nuklearforschung zu verfolgen – über den allmählichen Einstieg der deutschen Energiekonzerne, die zunächst mit der billigeren Kohle mehr Gewinne machten, bis hin zu den Anti-AKW-Protesten vieler BürgerInnen, die den Aufstieg der deutschen Atomwirtschaft alles andere als friktionsfrei verlaufen ließ. Nicht wenige Atomanlagen gingen nie in Betrieb – der Schnelle Brüter von Hanau und die Wiederaufbereitungsanlage im bayerischen Wackersdorf sind beredte Beispiele dafür. Nach dem Eintritt Grüner Parteien in deutsche Landtage – etwa 1991 in Hessen, wo das AKW Biblis zum Dauerstreitthema wurde – sowie 1998 nach Bildung der ersten rot-grünen Koalition kam auch die Zustimmung der etablierten Politik gegenüber der Atomindustrie immer mehr ins Wanken. Der Kernenergieexperte des Freiburger Öko-Instituts, Lothar Hahn, war 1999 vom grünen Umweltminister Joschka Fischer zum Vorsitzenden der Reaktor-Sicherheits-Kommission und 2002 zum Geschäftsführer der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit ernannt worden. Er schildert im zweiten Teil des Buches den allmählichen Abstieg der deutschen Atomindustrie, wobei der Super-GAU von Tschernobyl maßgeblich zu diesem beigetragen hat. Dass jener von Fukushima 2011 dann zum endgültigen „Aus“ der deutschen Atomwirtschaft geführt hat und mit ihm auch zum Ausstieg der führenden Unternehmen wie Siemens aus der Atomtechnologie, ist ja bekannt.
Die Ausführungen machen deutlich, dass deutscher Atomstrom zu keiner Zeit billig war, dass die AKW-Betreiber ohne maßgebliche öffentliche Förderungen nie überlebt hätten und dass auch viel Steuergeld durch Missplanungen bzw. Fehleinschätzung der öffentlichen Proteste in den Sand gesetzt wurde. Die Atomeuphorie der 1950er- und 1960er-Jahre hatte die solaren Energiealternativen damals in den Hintergrund gedrängt – heute ist, so sind auch die beiden Autoren überzeugt, ihre Zeit gekommen. Der Vorteil der Erneuerbaren Energien läge dabei nicht nur in deren besserer Umweltverträglichkeit, sondern auch in der größeren Vielfalt, was Experimente ermögliche und Fehlplanungen in gigantischen Ausmaßen wie bei Atomkraftwerken ausschließe. Ein wichtiges und lehrreiches Buch – einziger Wermutstropfen: Robert Jungk, der früh vor den Gefahren der Atomtechnologie gewarnt hat, kommt nur am Rande vor. Radkau meint etwa, dass Jungk zu Unrecht als Galionsfigur der Anti-AKW-Bewegung herausgestellt wurde, da andere wie Günther Schwab schon lange vor ihm gewarnt hätten. Der Historiker irrt auch, wenn er meint, Jungk habe in seinem Bestseller über das „Schicksal der Atomforscher“ (1956) in den „Pionieren der Atomforschung … Zukunftsmenschen“ (S. 23) gesehen. Jungk hatte von Beginn an vor diesem inhumanen Fortschrittsdenken gewarnt. Aber auch Historiker können irren. H. H.
Radkau, Joachim; Hahn, Lothar: Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft. München: ökom-Verl., 2013. 413 S., € 24,95 [D] € 27,70 [A], sFr 33,70
ISBN 978-3-86581-315-2