Seitdem das Original des Buches „Das Unbehagen in der Demokratie“ von Michael J. Sandel 1996 erschienen ist, verortet der Autor eine Vertiefung der bereits damals konstatierten Unzufriedenheit mit der Demokratie. „Sie hat sich so zugespitzt, dass Zweifel an der Zukunft der amerikanischen Demokratie aufgekommen sind“ (S. 9). Damals wie heute ist das Buch entlang der amerikanischen Politikgeschichte ausgerichtet und versucht aufzuzeigen, wie sich das Spannungsfeld zwischen den beiden politischen Philosophien der liberalen und republikanischen Gesinnung verändert hat und welche Folgen dies für das demokratische System hatte. Die Wahl Trumps sieht der Philosoph als „Symptom brüchig gewordener sozialer Bindungen und einer beschädigten demokratischen Ordnung“ (S. 15). Dabei steht ein Begriff im Fokus: Die Freiheit, beziehungsweise was Freiheit im Rahmen (moderner) Volkswirtschaften ausmacht.
Republikanische Ideale
Beginnend bei Thomas Jeffersons Betrachtungen über den Staat Virginia (1787), worin er die Bedeutung unabhängiger Bäuer:innen und Produzent:innen als wesentlich für eine republikanische Bürgerschaft ansah, wird deutlich, was aus republikanischer Sicht damals ein gutes Wirtschaften ausmachte: „Abhängigkeit führt zu Willfährigkeit und Käuflichkeit, schnürt dem Keim der Tugend die Luft ab und schafft geeignete Werkzeuge für die Ränke des Ehrgeizes“ (Thomas Jefferson, S. 38). Sandel spricht hier von einer zivilgesellschaftlichen Vorstellung freier Arbeit. Aus republikanischer Perspektive ging es zudem darum, dass der Staat einen Bildungsauftrag zu erfüllen habe, um Käuflichkeit und Gier aufzuhalten und die Tugenden der Menschen zu stärken. Es braucht folglich einen Staat, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, seine Bürger:innen zu bilden und formen, damit diese Tugenden entwickeln können, welche wiederum die Voraussetzung für Freiheit darstellen.
Mit den fortschreitenden Jahrzehnten wurde aber auch das wirtschaftliche System Amerikas zunehmend komplexer, und wenngleich unter der Jackson-Ära unabhängige Handwerker das republikanische Verständnis freier Arbeit noch hochhielten und sie sich von den „besitzlosen europäischen Proletariern“ (S. 94 f.) abgrenzten, „begann das System freier Arbeit sich bereits aufzulösen“ (S. 96). So befanden sich bereits 1870 zwei Drittel der arbeitenden Amerikaner:innen in einem Angestelltenverhältnis. Diese Entwicklung spiegelt sich auch in den Gewerkschaften wider. Obwohl sich die Knights of Labour ebenfalls weiterentwickelten und sich als Vertreter:innen der produzierenden Klasse verstanden und nur Nichthersteller:innen wie Spekulant:innen oder Anwält:innen ausschlossen, sank ihr Einfluss aufgrund „Rückschlägen bei Gerichten, [aggressiver] Opposition von Arbeitgebern und Spaltungen innerhalb der Arbeiterbewegung“ (S. 140), und schon bald darauf sollten sie ganz in Vergessenheit geraten. „Wo Labor-Reformer wie die Knights sich der Kapitalkonzentration in Großunternehmen widersetzten, akzeptierten die Gewerkschaften wirtschaftliche Konzentration als ‚logisches und unvermeidliches Merkmal unseres modernen Industriesystems‘ und bemühten sich, Arbeit als kompensierende Macht zu organisieren“ (S. 141).
Konsum und Freiheit
Mit den veränderten Zielen der Gewerkschaftsbewegungen und dem Ende des reformistischen Charakters dieser, wandelte sich auch der Begriff der Freiheit. Der zivilgesellschaftliche Strang der Freiheit wich zunehmend dem voluntaristischen Zugang und damit verschwand auch die Ansicht, dass der Staat einen Bildungsauftrag habe. Politik und Recht folgten damit der Überzeugung, dass sich der Staat wertneutral gegenüber den Auffassungen eines guten Lebens seiner Bürger:innen zu verhalten hat. Mit dem in den Jahrzehnten nach dem zweiten Weltkrieg beginnenden Ausbau individueller Rechte und staatlicher Absicherungen konnte der Wunsch nach Selbststimmung der Menschen dennoch nicht zufriedengestellt werden. „Der Triumph der voluntaristischen Vorstellung von Freiheit fiel paradoxerweise mit dem zunehmenden Gefühl von Entmachtung zusammen“ (S. 146). Zu dieser Zeit hatten die Debatten zur Gestaltung von Staat und Wirtschaft nichts mehr mit den ursprünglichen Anliegen der Jackson Ära gemein. „1960 waren sich die meisten Ökonomen und Politiker darin einig, dass ‚das wirtschaftliche Hauptproblem des Landes darin besteht, eine hohe und rasch steigende Warenproduktion zu erreichen und beizubehalten‘“ (S. 241).
Der wachsende Markt, die Geschehnisse im Vietnam, Watergate, die Inflation der 1970er Jahre – all das und weitere Ereignisse zerrütteten das Vertrauen der Amerikaner:innen in die Regierung und sie „begannen, sich weniger als Handelnde, sondern eher als Werkzeuge größerer Mächte zu verstehen, die sich ihrem Verständnis und ihrer Kontrolle widersetzten“ (S. 292). Hinzu kam eine Verschiebung des sozialen Kitts von Produktion und Gemeinschaften hin zu Konsum als verbindendem Element im Sinne der der Theorie Keynes‘. Die in den darauffolgenden Jahrzehnten folgende Globalisierung sowie die „Übernahme der Wirtschaft durch den Finanzmarkt-Kapitalismus“ (S. 358) verschärfte die wachsende Ungleichheit. So schreibt Sandel abschließend: „Eine der tiefsten politischen Spaltungen in der amerikanischen Politik besteht heute zwischen denen mit einem Universitätsabschluss und denen ohne“ (S. 423).
Kann ein Wandel gelingen?
Die hier vorliegende Rezension konnte nur einen Bruchteil der fundierten Ausführungen Sandels wiedergeben, so geht er im Speziellen auch auf die Rolle der Justiz ein, behandelt den amerikanischen Diskurs zur Sklaverei und streift auch die Politik zur Bankenrettung Obamas. Auf die Frage, ob sich ein Wirtschaftssystem jenseits des Liberalismus entwickeln kann, betont der Autor, dass ein „auf Wandel gerichtetes politisches Projekt […] auf eine aufrüttelnde soziale Bewegung warten [müsste], die mit größerem Nachdruck auf einer Wirtschaft besteht, die stärker auf die Bedürfnisse der arbeitenden Bevölkerung ausgerichtet und gegenüber dem Projekt der Selbstbestimmung aufgeschlossener ist“ (S. 433).