Tamara Ehs

Verteidigung der Demokratie

Ausgabe: 2025 | 4
Verteidigung der Demokratie

„Im Jahr 2023 ließ der V-Dem-Report damit aufhorchen, dass es zum ersten Mal seit zwei Jahrzehnten auf der Welt mehr geschlossene Autokratien als liberale Demokratien gab“ (S. 68). Mit ihrer Publikation „Verteidigung der Demokratie. Ein Essay über die Versuchungen der Autokratie und die Versprechen der Demokratie“ legt die Politikwissenschafterin Tamara Ehs den Finger in die Wunde moderner Demokratien und zeichnet gegenwärtige Schwachstellen wie auch Wege zum nachhaltigen Schutz dieser nach. In neun Kapiteln zeigt sie auf, was Demokratien und ihre Wehrhaftigkeit ausmacht, welche Instrumente wir zum Schutz dieser Staatsform haben und analysiert, welche Mechanismen hinter dem Erstarken von Populismus und autokratischen Regierungen liegen.

Bruchstellen

Die Autorin ist selbst Teil des bereits zitieren Varieties of Democracy Report (V-Dem) der Universität Göteborg, welcher bereits 2019 konstatierte, dass sich die Welt gegenwärtig in der dritten Welle der Autokratisierung befinde. Das besondere an der aktuellen Situation ist, dass die Umbrüche nicht mittels Gewalt und Militär stattfinden, sondern innerhalb des demokratischen Prozesses. „[A]llmählich untergraben die gewählten Amtsinhaber:innen sowie die etablierten Parteien hinter einer Fassade der Legalität demokratische Normen. Dabei schaffen sie die grundlegenden demokratischen Institutionen nicht ab, höhlen sie aber aus, sodass sie ihrer Funktion zuerst nur noch eingeschränkt nachgehen können und schließlich ihrer Aufgabe in der rechtsstaatlichen liberalen Demokratie gänzlich beraubt sind“ (S. 13). Wie das in der Praxis aussieht, zeigt sich am Beispiel Ungarns. Es ist folglich unumstritten, dass gegenwärtige Entwicklungen die vielerorts eingeforderte Verteidigung der Demokratie brauchen. Aber wir müssen uns, so die Autorin, zuerst die Frage stellen, was genau wir verteidigen und ob unsere aktuell gelebte Form der Demokratie wirklich so ideal ist. Denn mit Blick auf Steffen Lessenichs Buch „Grenzen der Demokratie“ zeigt sich: „Die Geschichte der Demokratie ist eine Geschichte von Teilhabe durch Ausschluss. Und zwar bis auf den heutigen Tag“ (S. 14). So sind in Österreich bereits 20 Prozent dauerhaft im Land lebenden, wahlberechtigten Bevölkerung aufgrund ihrer Staatsbürgerschaft von Wahlen ausgeschlossen. Darüber hinaus beschreibt die Autorin eine gegenwärtige Krise der Repräsentation, auf Österreich bezogen sind beispielsweise Arbeiter:innen im Nationalrat unterrepräsentiert, was sich Studien zufolge sowohl auf die Bereitschaft an Wahlen teilzunehmen als auch den politischen Output der Institutionen auswirkt. Als weitere Herausforderung führt Tamara Ehs die ökonomische Ungleichheit an, auch hier gibt es Gewinner:innen, welche politisch stärker repräsentiert werden und aufgrund enger Verflechtungen mit dem politischen System auch anderweitig Einfluss ausüben können, auch hier werden Beispiele von Österreich (Chat-Affäre) bis Amerika angeführt. Hinzu kommt, dass sich Gewinne zunehmend bei wenigen Vermögenden konzentrieren, während Verluste an die Gesellschaft abgewälzt werden. Der ebenfalls im Essay beschriebene und für Demokratien notwendige Spielsinn, also der geteilte Glaube der Bürger:innen an „Fortschritt und an die Gestaltbarkeit der Welt hin zu einer guten Zukunft“ (S. 55) ist in Zeiten der Vielfachkrisen den Bürger:innen abhanden gekommen. All das bietet Potential für populistische Bewegungen: „Populistische und insbesondere rechtsautoritäre Parteien greifen diese Verzerrung der Repräsentation auf. Der österreichische Erwachsenenbildner Hakan Gürses beschreibt ihre Strategie als ‚Simulation des Klassenkampfes‘“ (S. 49).

Autoritäre Versuchungen

Die oben skizzierten Bruchstellen, allen voran die ökonomische Ungleichheit, bieten autoritären, populistischen Akteur:innen eben jene Ausgangslage, um Gruppen gegeneinander auszuspielen und Sündenböcke zu definieren: „Die steigende Ungleichheit führt nämlich zu einer sozioökonomisch polarisierten Gesellschaft, zu Anerkennungskonkurrenz und neuer Härte, die sich in sozial- oder migrationspolitischen Fragen als ‚Wir können nicht allen helfen‘ äußert (S. 69). Genügen aber all diese Entwicklungen, um autoritäre Ziele zu verwirklichen? Nicht ganz, denn beispielsweise Terror-Anschläge führen nur zu einem kurzfristigen Anstieg möglicher Wähler:innen, „aber der Durchbruch gelingt jenen Parteien erst, wenn ihre Inhalte und ihr Kommunikationsstil von anderen Parteien übernommen werden und wenn sie sie durch die Aussicht einer Zusammenarbeit (zum Beispiel durch gemeinsames Stimmverhalten im Parlament oder gar als Koalitionspartner) legitimieren“ (S. 72 f.) .

Was tun?

Wesentlichsten für Demokratien ist die Zeit. Diese ist notwendig, um die Faktoren Information, Partizipation, Repräsentation und Entscheidung gut umzusetzen, denn insbesondere bei komplexen Fragestellungen braucht es eben ausreichend Zeit, um die Sachverhalte zu verstehen und alle Perspektiven mitzudenken anstatt verkürzte, populistische Antworten zu bieten. Darüber hinaus führt die Expertin noch den Blick nach innen an, welche Kompetenzen hat etwa ein:e Bundespräsident:in und wären wir mit dieser Machtfülle auch unter anderen Vorzeichen zufrieden? Verbesserungspotential wird zudem in den Bereichen Medien, lebenslange Demokratiebildung und Repräsentation angeführt sowie in der bereits kritisierten ökonomischen Ungleichheit. Die renommierte Wissenschaftlerin Tamara Ehs bietet mit ihrem Essay eine klare Analyse der gegenwärtigen Situation, in welcher sie keine Perspektive auslässt, so geht sie etwa auch auf die Frage ein, ob denn Ökodiktaturen sinnvoll wären. Der Essay besticht durch Vielfalt und Tiefe der Ausführungen und ist eine klare Leseempfehlung.