William F. Schulz, Sushma Raman

The Coming Good Society

Ausgabe: 2021 | 1
The Coming Good Society

In welcher Welt wollen wir zukünftig leben und was brauchen wir, um sie entsprechend zu gestalten? Die „Gute Gesellschaft“ dient als Zielvorstellung und entwickelt sich ständig weiter, mit jedem Schritt auf sie zu. Rechte sind, so William F. Schulz und Sushma Raman, eine Repräsentation dessen, was wir unter einer guten Gesellschaft verstehen: wen gilt es zu schützen und wie soll die Umwelt aussehen, in der wir leben wollen? Die dynamische Anpassung dieser Zielvorstellung über die Zeit bedingt also einen ständigen Weiterentwicklungsanspruch der Menschenrechte: ohne Anpassung an neue und entstehende Realitäten erodieren sie und verlieren ihre Bedeutung.

Eine beeindruckende Zusammenschau

Schulz und Raman bieten eine beeindruckende Darstellung der Entstehung, Weiterentwicklung und Erweiterung von Rechten. Dabei verfolgen sie zwei Fragen: Welche Bedrohungen und damit welche möglichen Rechtsansprüche ergeben sich durch Normveränderungen, neue Technologien und Umweltbedingungen, und für wen? Und bedrohen neue Rechte alte oder Kernrechte? Über die historische Einordnung etablierter Rechte und ihrer Anpassungsfähigkeit im Laufe der Zeit und die philosophische Diskussion über die Natur der Menschenrechte –  ob sie also dem Menschen eigen sind oder konstruktivistisch transaktional geschafften sind – schafft das Werk einen Einstieg in die Thematik. Transaktional meint hier, dass die Rechte aus den Relationen zwischen Mensch, Tier, Technik und Umwelt entstehen bzw. geschaffen werden, mit ihrem Anspruch sind sie also nicht unbedingt an die Natur des Menschen gebunden. Kunstvoll verknüpfen die Autoren dabei Rechtswissen mit historischem Kontext, der Gegenwartsgesellschaft und soziologischen Beobachtungen sowie den daraus hervorgehenden Dilemmata, ohne dabei trocken zu werden. Die Moral aus diesem Einstieg lautet: Die meisten Rechte, welche wir heute als Normalität akzeptieren, die uns quasi ins Blut übergegangen sind, waren zu früheren Zeitpunkten undenkbar.

Aus den vielen möglichen Aushandlungsfeldern der neu entstehenden Menschenrechtsansprüche wählen die beiden einige exemplarisch aus, um sie mit Hilfe ihrer aufgestellten Annahmen zu analysieren. So wird die Aktualität des binären Geschlechtssystems diskutiert, die neuen Herausforderungen in puncto Datenschutz durch die zunehmende Verdatung und Vernetzung der Welt aufgezeigt oder den fundamentalen Fragen im Kontext neuer Biotechnologien und deren Möglichkeiten nachgegangen. Im Anschluss an die Darstellungen dieser recht bekannten Aushandlungsfelder fordert das Buch zusehends heraus, indem es uns mit neuen oder entstehenden Rechtsansprüchen konfrontiert. Inwiefern sollte Korruption oder besser das Recht ohne sie leben zu können menschenrechtlich verankert werden? Wenn Rechte transaktional und menschengemacht sind, ist dann nicht eine Ausweitung auf Tiere, Roboter und Umwelt möglich? Über diese Kapitel bildet sich schließlich der Community-Gedanke heraus: Vielleicht sollten diese Rechte eher auf die Balance zwischen allen beteiligten Entitäten ausgerichtet sein und somit den Erhalt des gesamten Systems gewährleisten als sich auf den Menschen als einzigen Rechtsempfänger zu konzentrieren: „It makes sense, then, to attribute rights to Nature as a whole – to the system upon with the Earth itself depends even if not every element of that system independently deserves the status of a rights holder.“ (S. 213) Mit dieser Herangehensweise ist die Integration nicht-menschlicher Entitäten wie Klimawandel, (Massen-)Tierhaltung, Roboter oder Künstliche Intelligenz, welche die Menschen in indirekter Weise bedrohen, in die Menschenrechte möglich und würde einen Turn hin zu einer ganzheitlichen Entwicklung, weg von einer kurzfristigen, utilitaristischen bedeuten. Was es nicht bedeuten würde, wäre eine Konkurrenz der Rechte von Menschen, Tieren, Technologie oder Umwelt. Nicht-menschlichen Akteuren muss nicht die gleiche Bandbreite an Rechten zugestanden werden. Wenn es aber um die lebenswerte, zukünftige Gesellschaft geht, sollten sie zumindest partiell verankert werden und damit ein Bestehen des Gesamtsystems ermöglichen, so die Empfehlung.

Unsere Perspektiven hinterfragen

Die beschriebenen Inhalte werden von Schulz und Raman gekonnt eingesetzt, um unsere etablierten Perspektiven herauszufordern und in teils hochemotional aufgeladenen Feldern sachlich Position zu beziehen. Damit schenken sie uns das Rüstzeug, um die Gegenwart und die Zukunft der Menschenrechte in Angriff zu nehmen. Wenn Frauenrechte, das Verbot der Sklaverei oder der Schutz von Zivilistinnen und Zivilisten im Kriegsfall über Jahrhunderte nicht mal denkbar geschweige denn umsetzbar waren, heute aber allgemein akzeptierte Wertvorstellungen widerspiegeln, was bedeutet das für gegenwärtig undenkbare Ansprüche von Tieren, Technologie und Natur? Vielleicht schauen wir in einiger Zeit auf diese Fragen zurück und können sie dann ganz selbstverständlich beantworten.