Sind wir der Gentechnik gewachsen?

Ausgabe: 1996 | 4

Trotz des kritischen Titels setzt sich der Autor erst einmal ausgiebig mit den positiven Seiten und den nicht zu unterschätzenden Möglichkeiten der Gentechnik auseinander. Mit klarer Sprache und bildhaften Vergleichen versucht Wilkie in Bezeichnungen wie" molekulare Scheren", "biologischer Klebstoff", “Restriktionsenzyme ", "Gelelektrophorese " oder "DNA-Klonierung" einzuführen und dem Leser die Zweischneidigkeit der Gentechnik zu vermitteln. Weit davon entfernt, vieldiskutierte Risiken einfach totzuschweigen, ist der Autor um eine objektive Behandlung dieses komplexen Themas bemüht. Nutzt ein Test etwas, solange eine Krankheit diagnostizierbar, aber noch lange nicht heilbar ist? Welche Auswirkungen ergeben sich daraus für Medizin, Familienplanung, Versicherungen, Arbeitsverhältnisse usw.? Wird neuen Diskriminierungen Vorschub geleistet und wieder einmal die bedrohliche Frage nach lebenswertem Leben gestellt? Ist es vertretbar, einem Fötus das Recht auf jahrzehntelanges Leben vorzuenthalten, weil irgendwann einmal eine Krankheit ausbrechen wird? Was, wenn man nicht nur "korrigieren, sondern Mutter Natur etwas nachhelfen möchte"? Worauf steuern wir zu, wenn sich nicht nur ein Gendefekt, sondern auch zukünftige Intelligenz durch die DNA-Analyse feststellen läßt? Ist eine Welt vorstellbar, in der solange abgetrieben wird, bis die Gene die von den Eltern gewünschte Augenfarbe versprechen? Darüber hinaus befürchtet der Verfasser den Verlust ganzheitlicher Betrachtungsweisen zugunsten immer stärker werdender atomistischer/reduktionistischer Denkweisen. V. a. sieht er drei mögliche Entwicklungen: Ähnlichkeiten zwischen Mensch und Tier treten immer klarer zutage; Unterschiede zwischen den einzelnen Menschen (und Rassen) werden deutlicher; die Frage nach dem Wesen des Lebens wird sich neu stellen. Besteht die Gefahr, daß man menschliches Verhalten (z. B. Unterdrückung der Frau) nur mehr auf biologische Reaktionen   zurückführt? Daß manches vorübergehend mit einem Verbot belegt werden muß, steht für ihn außer Frage. Außerdem sei ein Forum nötig, „in dem derartige Themen öffentlich und nicht unter den Zwängen der Tagespolitik debattiert werden können". Abschließende Überlegungen gelten Problemen, die sich aus der Patentierung von Entdeckungen und der Privatisierung des Genomprojektes ergeben und aufgrund von nationalistischen, kapitalistischen oder gesellschaftlichen Entwicklungen zu unlösbaren Konflikten, z. B. zwischen Ethik und Kommerz, führen könnten. B. Ö.

Wilkie, Tom: Gefährliches Wissen. Sind wir der Gentechnik gewachsen? Hamburg: Rotbuch-Verl., 1996. 296 S., DM 36,-/sFr 35,-/ÖS 263