Risikokontrolle durch partizipative Risikopolitik

Ausgabe: 1999 | 1

Die Katastrophen von Seveso 1976, Bhopal 1984, Tschernobyl 1986 u. a. sind Symbole ziviler Risiken der Technik. Mit ihnen verbindet sich der Ruf nach Risikokontrolle durch Risikopolitik. Im Umkreis von Sicherheit, Risiko und Chance lassen sich allerdings kaum Fragen formulieren, die entweder nur mit ja oder nein zu beantworten sind. Deshalb sollen Entscheidungen über die Akzeptabilität nicht länger dem autokratischen Urteil von Experten anvertraut werden, sondern diskursiv zustande kommen. Gesucht sind also neue demokratische Verfahren, die echte Partizipation der Betroffenen zulassen. Dieses Ziel verfolgten die Autoren im hier beschriebenen interdisziplinären Forschungsprozeß, der Evaluationskriterien für demokratische Mitwirkungsverfahren zur Verminderung von technischen Risiken entwickelte. Anlaß für diese Untersuchung war die Ausarbeitung eines konkreten Vorschlages für ein Partizipationsverfahren im schweizerischen Kanton Basel-Landschaft. Entsprechend wurde ein realistisches und umsetzbares Modell formuliert, „das zur Demokratisierung staatlicher Risikopolitik unter Bedingungen hoher Industrialisierung  beitragen sollte” (S. 15)  und vermutlich leicht modifiziert - in die Gesetzgebung einfließen wird.

Nach der Erörterung allgemeiner ethischer Grundlagen der Risikotheorie folgt eine ausführliche Untersuchung von zwei Prozessen realer Öffentlichkeitsbeteiligung - der Sondermüllverbrennungsanlage in Kleinhüningen (Region Basel) von Ciba-Geigy und das geplante Atomkraftwerk Kaiseraugst in der Nordwestschweiz. Die dort angewendeten Verfahren werden zusammen mit den nach Ansicht der Autoren als besonders geeigneten Methoden der Planungszelle und der Mediation systematisch evaluiert.

Im anschließenden rechtswissenschaftlichen Abschnitt werden die Bedingungen diskutiert, unter denen rechtsstaatliche Entscheidungen über die Akzeptabilität von Risiken demokratische Legitimität beanspruchen können. Diese könne sich, so ein Fazit der Studie, nur innerhalb eines demokratischen und offenen Diskussionsprozesses ergeben. Interessant ist das empirische Datenmaterial auch insofern, als die Beispiele entgegengesetzte Lösungsvarianten zeigen: Der Sondermüllofen wurde gebaut, das Atomkraftwerk erfolgreich verhindert. Schließlich wird ein konkreter Verordnungsvorschlag (samt Erläuterungen) für das Mediationsverfahren formuliert.

Insgesamt ein überaus praxisbezogener, zur Nachahmung anstiftender Beitrag. Gerade die Umweltproblematik hat den Bedarf nach neuen Institutionen und Verfahren unter den Bedingungen der existentiellen Betroffenheit, der Zukunftsrelevanz (Folgen für die Zukunft werden höher bewertet als der Nutzen für die Gegenwart) und der gesteigerten Komplexität intensiviert. Den Weg zur Konsensdemokratie beschreiten aber auch andere vielfach angewandte Verfahren wie etwa das Verkehrsforum (Heidelberg, Salzburg) oder die Zukunftswerkstatt. A. A.

Rehmann-Sutter, Christoph; Vatter, Adrian; Seiler, Hansjörg: Partizipative Risikopolitik. Opladen (u. a.): Westdt.-Verl., 1998. 366 S., DM 58,- / sFr 52,50 / öS 423,-