Alexandra Schauer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sozialforschung in Frankfurt und steht in der Tradition der Kritischen Theorie. In ihrem Buch „Mensch ohne Welt“ spricht sie über eine sich verdunkelnde Zukunft. In vormodernen Zeiten war das Leben durch Langsamkeit und Religion geprägt. Veränderungen wurden eher als Wiederholungen erlebt, Zukunft als Begriff hatte nur geringe Bedeutung. Mit der technischen Entwicklung und dem Aufstieg des Kapitalismus wurden längere Wege und Zeitabschnitte ins Auge genommen. Immer öfter spielte die „Zukunft“ im Alltag eine Rolle. Diese Zukünfte verdichteten sich zu einer Entdeckung der Geschichte als einen sich in eine offene Zukunft streckenden, linearen Prozess. Dieser lineare Fortschritt macht heute weniger Sinn. Die Digitalisierung führte zu einer weiteren Beschleunigung. „Wo Daten in Echtzeit übertragen werden, sind alle ‚Wege, Aufschübe und Verzögerungen […] aufgehoben‘, alles geschieht im Hier und Jetzt“ (S. 195). „Das Internet ordnet Bilder, Texte und Ereignisse nicht mehr in der Logik des Nacheinanders an, sondern als neues Hochgeschwindigkeitsmedium lässt es ‚Gleichzeitigkeits-Plateaus‘ entstehen“ (S. 197). An die Stelle einer linearen Zeitfolge trete zunehmend das Gefühl der Vergleichzeitigung des Unterschiedlichsten. Die „Ordnung der Sukzession“ werde durch eine „Unordnung der Simultaneität“ abgelöst (vgl. S. 197).
Weniger Gesellschaft
Die zweite Argumentationslinie betrifft die Schaffung von Öffentlichkeit. Schauer thematisiert das Ende der Privatautonomie in der Vormoderne, die die Voraussetzung für die individuelle und kollektive Selbstgesetzgebung war. Letztere benötigte als Ort die Öffentlichkeit. Schauer spricht vom Konflikt „zwischen der universellen Kategorie des Menschen und der exkludierenden des Eigentümers“ (S. 343). Gesellschaftliche Kämpfe um die Ausweitung dieses Raumes prägten einige Jahrhunderte. Zuletzt aber kommt dieser öffentliche Diskurs ins Stocken. „Adressat des neuen Gesellschaftsvertrages ist nicht mehr der Citoyen, der mit seinesgleichen in der politischen Öffentlichkeit über die Vermittlung von Staat und Gesellschaft berät, sondern das vereinzelte Individuum, das als Unternehmer seiner selbst die Allzuständigkeit für alle Belange seiner Existenz übertragen bekommt“ (S. 446). Soziale Probleme werden so unsichtbar, weil das Individuum für sein Glück verantwortlich scheint.
Weniger Raum
Die dritte Linie betrifft die Entwicklung der Städte. Im Spätmittelalter waren sie entscheidend für die frühbürgerliche Lebensweise. Mit der Durchsetzung des Kapitalismus werden sie zum unangefochtenen Zentrum der Welt, wo die Kämpfe um Zeit und Öffentlichkeit ausgetragen werden. Zuletzt aber erleben wir eine Privatisierung des städtischen, öffentlichen Raumes. Schauer spricht von einer „Architektur der Einbunkerung“, „Gated Communities“ sind ein wichtiges Beispiel: Siedlungen, die Unberechtigte nicht betreten können. Schon 1997 gab es 20.000 dieser Art in den USA. Der gemeinsame öffentliche Raum verschwindet.
Ohne Idee des Fortschritts, ohne Vertrauen, dass Änderungen möglich sind, ohne gemeinsamen Raum, um gesellschaftliche Lösungen zu verhandeln, werden Kämpfe um gesellschaftliche Teilhabe immer schwieriger. Sie werden durch die Arbeit der Menschen an sich selbst abgelöst. „In der Spätmoderne ist die Zukunft […] zur Projektionsfläche von Ängsten und Sorgen geworden. Nach einem besseren Leben wird – wenn überhaupt – zumeist in der Vergangenheit gesucht“ (S. 262).