Philosophieren heißt Fragen stellen

Ausgabe: 1994 | 2

Jugendliche und Philosophiekurse haben eines gemeinsam: sie sind vorurteilsbehaftet. Ersteren sagt man nach, sie interessierten sich für nichts, Philosophiekurse haben den Ruf, langweilig zu sein. Der Norweger Jostein Gaarder hat mit seinem über 600 Seiten starken Roman beiden Vorurteilen den Kampf angesagt und sie auf frappierende Weise widerlegt. Er lässt die sympathische Heldin seines Romans, die zunächst ahnungslose, jedoch vor vitaler Neugier sprühende 14jährige Sofie Amundsen einen Zettel mit der nur scheinbar komisch-einfachen Frage "Wer bist du?" finden, worauf die Dinge ins Rollen kommen. "Philosophieren heißt Fragen stellen", ist die Grundaussage dieses zum Bestseller gewordenen Romanerstlings, der unzählige Fragen aufwirft und durch Erzähl-Labyrinthe führt.

Gleich mit drei Rätseln wird die Protagonistin Sofie konfrontiert: Fragen wie etwa "Woher kommt die Welt" stellen das erste Rätselpaket dar; Rätsel 2 ist die geheimnisvolle Herkunft der Briefe bzw. Zettel, und Rätsel 3 eine Geburtstagskarte, die an eine (vorerst) unbekannte Hilde Moller Knag gerichtet ist und scheinbar versehentlich in Sofies Briefkasten auftaucht. Der Ausflug in die Philosophiegeschichte nimmt seinen Anfang, als Sofie den großen Umschlag "Philosophiekurs. Muss mit großer Vorsicht behandelt werden" bekommt.

Seite um Seite erkennt Sofie, dass es die Fähigkeit des Sich-Wundern-Könnens und des Fragens ist, die das Wesen der Philosophie (und freilich auch des gesamten Denkens) ausmacht. "Überrascht dich die Welt noch?" fragt Alberto Knox, der Verfasser der folgenden" Lektionen". Dieser geheimnisvolle Alberto erzählt Sofie und allen, die dieses Buch zur Hand nehmen, u. a. von Demokrits Atomlehre und führt sie ihr praktisch mittels simpler Legosteine vor. Im Mönchsgewand bespricht er das Mittelalter, als Joker verkleidet diskutiert er mit uns die Renaissance und später, im Bistro bei Baguette und Kaffee, die Existentialisten.

Zwischen diesen Stationen der Philosophiegeschichte taucht immer stärker Hilde Moller Knag auf; sie bekommt von ihrem Vater zum Geburtstag einen Ordner mit der Aufschrift „Sofies Welt" geschickt und beginnt von einer Sofie Amundsen zu lesen, die eines Tages in ihrem Briefkasten ... Dass sich damit kein Kreis schließt, nicht alle Rätsel gelöst werden, macht den Roman zur Philosophie, denn "Philosophieren heißt Fragen stellen." Sich darauf einzulassen, auch wenn es um Zukunft geht, ist ebenso unentbehrlich wie reizvoll.

C. R.

Gaarder, Jostein: Sofies Welt. Roman über die Geschichte der Philosophie.

München (u. a.): Hanser, 1993, 612S., DM39,80 / sFr36,60 / öS 311,-