Neun Bücher. Neun Themen.

Ausgabe: 2021 | 1
Neun Bücher. Neun Themen.

Neun kurze Rezensionen finden Sie nachfolgend, geschrieben von Katharina Kiening, Stefan Wally, Luisa Wilczek, Quirin Schnack, Dhenya Schwarz, Carmen Bayer. Im Fokus: Bücher von Katharina Manojlovic und kerstin Putz, Melisa Erkurt, Martin Andree und Timo Thomsen, Billy Bragg, Bushra al-Maktari, Maude Barlow, Yuval Noah Harari, Ronen Steinke, Alicia Garza. 

Katharina Manojlovic, Kerstin Putz (Hg.): Utopien und Apokalypsen

Utopien und Apokalypsen ist das Begleitbuch zur gleichnamigen Ausstellung im Literaturmuseum der Österreichischen Nationalibliothek. Der Band stellt Zukunftsvisionen in den Mittelpunkt, überlegt vor allem: Welchen Anteil haben Literatur und die Künste an unseren Ideen für positive wie negative Lebenswelten? Verschiedene Beiträge, Gespräche und Bildblöcke durchleuchten diese spannende Frage. Beispiele: Eva Horn erklärt, was uns an Weltuntergangsszenarien so fasziniert, Ilija Trojanow spricht über utopisches Denken, Teresa Präauer analysiert das Gedicht „Ein Prophet“ von Erich Fried. KK

Katharina Manojlovic, Kerstin Putz (Hg.): Utopien und Apokalypsen. Die Erfindung der Zukunft in der Literatur. Zsolnay Verlag, Wien 2020; 222 S.

Melisa Erkurt: Generation Haram

Melisa Erkurt schreibt über strukturelle Missstände im Umgang mit Migrantinnen und Migranten in Österreichs Schulsystem. Sie fordert dabei eine Stimme für all diejenigen, die noch keine haben, für all diejenigen, die von autochthonen Österreicherinnen und Österreichern noch nicht gehört oder verstanden werden. Das gelingt ihr überzeugend und sehr persönlich, indem sie von eigenen Erlebnissen berichtet und damit viele aktuelle Debatten anschaulich belegt bzw. nachzeichnet, Bezug nimmt sie etwa auf Kübra Gümüşay, Fatma Aydemir, Aladin El-Mafaalani. Ein relevanter Beitrag. QS

Melisa Erkurt: Generation Haram. Warum Schule lernen muss, allen eine Stimme zu geben. Zsolnay Verlag, Wien 2020; 192 S.

Martin Andree, Timo Thomsen: Atlas der digitalen Welt

Wir befinden uns in einer „bedrohlichen Schieflage“ – eine Handvoll Konzerne, Millionen an Userinnen und Usern, eine Unmenge an Nutzungsdaten, auf die wir keinen Zugriff haben. Martin Andree und Timo Thomsen haben im Atlas der digitalen Welt das Internet, seine Anbieter und unser Nutzungsverhalten kartographiert und in unzähligen Infografiken veranschaulicht. Ein Nachschlagewerk als Augenöffner, das die verschiedenen Aspekte der digitalen Transformation unserer Gesellschaft greifbar macht. LW

Martin Andree, Timo Thomsen: Atlas der digitalen Welt. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2020; 272 S.

Billy Bragg: Die drei Dimensionen der Freiheit

Die meisten kennen Billy Bragg als Liedermacher, der auch vor politischen Themen nie zurückschreckte. In seinem aktuellen Buch rechnet er mit dem Neo-Liberalismus ab und skizziert einen alternativen Weg. „Wenn wir wirklich frei sein wollen, müssen Liberalität und Gleichheit um eine dritte Dimension erweitert werden: Verantwortlichkeit“. Die Mächtigen sollen für die Folgen ihres Handelns die Verantwortung zu tragen haben. Aber auch für verletzende Sprache müsse der Meinungsfreiheit Verantwortung zur Seite gestellt werden. SW

Billy Bragg: Die drei Dimensionen der Freiheit. Ein politischer Weckruf. Heyne Verlag, München 2020; 144 S.

Bushra al-Maktari: Was hast du hinter dir gelassen?

Bushra al-Maktari sammelte von 2015 bis 2017 Aussagen von Opfern und Hinterbliebenen, um die Menschenrechtsverletzungen aller kriegsführenden Parteien im Jemen zu dokumentieren. 400 Protokolle hat die Journalistin landesweit unter widrigsten Umständen aufgenommen, 43 davon sind in voller Länge abgedruckt. Die Stimmen bezeugen eine Alltäglichkeit von Terror, Angst und Sterben, vor allem aber beständige Kriegsverbrechen an der Zivilbevölkerung. 2020 wurde die deutsche Übersetzung publiziert. Noch immer dauert der Krieg an. Noch immer gilt die dortige Lage als größte humanitäre Katastrophe weltweit. KK

Bushra al-Maktari: Was hast du hinter dir gelassen? Stimmen aus dem vergessenen Krieg im Jemen. Econ Verlag, Berlin 2020; 320 S.

Maude Barlow: Das Wasser gehört uns allen!

Die kanadische Aktivistin Maude Barlow macht in Das Wasser gehört uns allen! den globalen Kampf um das blaue Gold sichtbar. Sie thematisiert, welchen politischen Nährboden Konzerne benötigen, um Privatisierungen voranzutreiben, wohin diese Entwicklungen führen, aber auch, wie Städte und Staaten zum Schutz der lokalen Wasserquellen zurückfinden. Das Buch überzeugt vor allem durch seine globale Perspektive, die sowohl Folgen als auch Bedingungen der Wasserkrise anschaulich nachzeichnet. CB

Maude Barlow: Das Wasser gehört uns allen! Wie wir den Schutz des Wassers in die öffentliche Hand nehmen können. Verlag Antje Kunstmann, München 2020; 176 S.

Yuval Noah Harari: Sapiens

Yuval Noah Harari nimmt uns mit auf eine bunte Reise durch die Zeit und zeigt uns gemeinsam mit seiner Nichte Zoe und Kolleginnen und Kollegen der Wissenschaft die Ursprünge des Homo Sapiens. Dieser Austausch und die Einblendungen rund um Bill und Cindy Sapiens führen uns federleicht durch die Anfänge der Menschenarten bis hin zu den frühen Wildbeutern, die schließlich die Welt bevölkerten. Der erste Teil der Graphic Novel-Reihe bietet viele Ahas, Schmunzeln und Unterhaltung, aber vor allem auch Perspektiven auf uns als Menschheit heute und ist damit absolut lesenswert und erfrischend anders. DS

Yuval Noah Harari: Sapiens. Der Aufstieg. C.H. Beck, München 2020; 248 S.

Antisemitismus in der Sprache

Ronen Steinke schaut sich an, wo Antisemitismus in unserer Sprache Spuren hinterlassen hat. In sieben kurzen Kapiteln weist er auf offensichtlich und nicht so offensichtliche Aspekte hin, beschreibt unter anderem die Bedeutung von Assoziationsfeldern in der Verwendung bestimmter Vokabeln und erklärt Jiddismen, die entgegen ihres wertneutralen lexikalischen Inhalts im deutschen Gebrauch negativ aufgeladen sind. Mischpoke, Ische, mauscheln und schachern gehören da etwa dazu. Eine abschätzige Haltung wird damit transportiert, nicht einfach nur: Familie, Frau, reden wie ein Jude und Handel treiben. Wer das und alles andere aus dem Büchlein weiß, versteht, warum es auf die Wortwahl ankommt. KK

Ronen Steinke: Antisemitismus in der Sprache. Warum es auf die Wortwahl ankommt. Duden, Berlin 2020; 63 S.

Alicia Garza: Die Kraft des Handelns

Alicia Garza arbeitet und engagiert sich seit Jahrzehnten als Aktivistin, unter anderem als Mitbegründerin – gemeinsam mit Patrisse Cullors und Opal Tometi – von Black Lives Matter und des Black Lives Matter Global Network. Mit The Purpose of Power zeichnet Garza die Entwicklung von Black Lives Matter zu einer internationalen Bewegung nach. Sie kontextualisiert etwa die gesellschaftpolitische Lage der USA, rekapituliert ihren eigenen Lern- und Entwicklungsweg, zeigt welche Möglichkeiten politische Bewegungen für unsere gemeinsame Zukunft bereithalten. Vor allem wird deutlich: Veränderung kann nur durch ausdauerndes Engagement erreicht werden. KK

Alicia Garza: Die Kraft des Handelns. Wie wir Bewegungen für das 21. Jahrhundert bilden. Tropen Verlag, Berlin 2020 · 400 S.