Mit Why We Matter macht die Politologin und Gründerin des Center for Intersectional Justice, Emilia Roig, Unterdrückung in verschiedenen Bereichen sichtbar: zu Hause, in Schule und Universität, in den Medien, im Gerichtssaal, bei der Arbeit, im Krankenhaus, auf der Straße, im Körper der Frauen. Der eigene vielschichtige familiäre Hintergrund, ihre Lebenserfahrungen und ihre Arbeit befähigten Roig, die Mechanismen des neokolonialen, kapitalistischen,patriarchalen Systems zu dekonstruieren und ein anderes Narrativ zu artikulieren, das ihre eigene hybride Identität zu reflektieren und neue Systeme zu schaffen vermag. Das Besondere an diesem Buch ist Roigs tiefgehendes Verständnis der Intersektionalität. Sie hat diese Theorie bei deren Begründerin Kimberlé Crenshaw kennengelernt und daraufhin fast all ihre Studien darauf ausgerichtet. Schließlich konnte sie mit einem Begriff benennen, was es heißt, an mehreren Schnittpunkten von Unterdrückungssystemen verortet zu sein. Betroffene konnten nun sichtbar werden und aus dem rechtlichen und diskursiven Vakuum heraustreten. So zeigt das Buch Missstände innerhalb ihrer Historizität und in ihrem komplexen Wirken auf; führende Theorien wie die von Frantz Fanon, Audre Lorde oder bell hooks, aber auch unbekanntere Stimmen beispielsweise von Grada Kilomba oder Katharina Oguntoye werden entlang von empathisch und klar dargestellten Alltagsbeobachtungen greifbar.
Heilung kommt von innen
Der Titel lehnt sich an die Bewegung Black Lives Matter an, möchte aber viel weiter ausgreifen. Zum einen geht es nicht darum, die in der Hierarchie Höherstehenden von der eigenen Wichtigkeit zu überzeugen, denn Heilung kommt nicht von außen, sondern von innen: „‚Why we matter‘ ist eine Selbstbehauptung“ (S. 356). Zudem meint das darin enthaltende „Wir“ nicht allein Schwarze, sondern alle, die sich unterhalb der „Linie der Menschlichkeit“ (nach Frantz Fanon) befinden: Diese Linie teilt die Menschen global in eine Hierarchie zwischen Über- und Unterlegene. So wird die systemische Dimension von Rassismus und anderen Unterdrückungsmechanismen verständlicher. Unterschiedlichste Merkmale können entlang dieser Linie konstruiert und bestimmten Gruppen der Unterlegenheit zugeteilt werden. Nicht die existierenden Unterschiede seien also das Problem, sondern die mit ihnen verbundene Wertung.
Ein Bewusstseinswandel hat begonnen
Aber können diese über Jahrhunderte hinweg festgefahrenen Hierarchien aufgebrochen werden? Laut Roig hat der notwendige kollektive Bewusstseinswandel bereits begonnen. Frühere Befreiungsbewegungen waren zwar wichtige Meilensteine im Kampf für Gerechtigkeit, änderten aber nicht die zugrundeliegenden Hierarchien: Weiße Vorherrschaft, männliche Dominanz und Übermacht des Kapitals blieben in veränderter Form bestehen. Neue Bewegungen wie Fridays for Future, #MeToo und Black Lives Matter scheinen aber die Logik der Unterdrückung selbst zunehmend zu enthüllen und auf die gesamte gesellschaftliche Struktur abzuzielen. Die Erkenntnis und Kultivierung einer Verbundenheit aller Lebewesen vermag es, Grenzen aufzulösen. Die abschließenden Kapitel befassen sich mit dieser Reise zum Ende der Unterdrückung mit unbestimmtem Ausgang, die wir als Metamorphose verstehen können, bei der Chaos und Tod unvermeidlicher Teil des Prozesses sind. Letztlich wird „die Befreiung derjenigen, die nicht frei sind, […] die Befreiung von uns allen sein.“ (S. 369)