Aus westlicher Sicht sei, so der Verlag, die Frage des Schaffens von Frieden „gegenwärtig so drängend“. Global gesehen jedoch ist das eine Daueraufgabe, die von westlichen Regierungen und Medien bequem übersehen wird. Wenngleich die zehn ausführlich beschriebenen und anhand historischer Beispiele analysierten Thesen von Jörn Leonhard, Professor für Westeuropäische Geschichte an der Universität Freiburg auf europäische Beispiele fokussieren, bieten sie doch Anregungen zum globalen Nach- und Vorausdenken. Durch die Beispiele, die zur Begründung der Thesen angeführt werden, wird nachvollziehbar, wie ungemein kompliziert die Beendigung von Kriegshandlungen und vor allem auch deren ausgewogene vertragliche Regelung ist. So wird auf die Friedensverträge von Münster und Osnabrück, auf den Wiener Kongress, den Versailler Vertrag, die Verhandlungen zum Ende der beiden Weltkriege oder auch Vietnam hingewiesen. Die Tatsache, dass bei den Verhandlungen zum Ersten Weltkrieg insgesamt mehr als 10.000 Personen involviert waren (S. 148), oder dass sich nach dem Koreakrieg die Verhandlungsdelegationen stundenlang schweigend gegenübersaßen, geben einen Eindruck von den Herausforderungen. Schließlich spielen hier vor allem menschliche, allzu menschliche, aber natürlich auch politische, ökonomische, soziale, kulturelle, strategische und taktische Faktoren ihre jeweilige Rolle.
Die in den Kapiteln ausgeführten Thesen lassen sich kurz zusammenfassen: Der Charakter des Krieges bestimmt sein Ende; Entscheidungsschlachten sind selten, und je länger ein Krieg dauert, desto schwieriger wird seine Kontrolle; ein „fauler Frieden“ kann den Krieg verlängern; wer noch Chancen sieht, wird den Kampf fortsetzen, solange es geht; verfügbare Ressourcen bestimmen den Kippmoment von Kriegen, aber nicht unbedingt die Einsicht der Akteure; nicht jeder Krieg endet mit einem formalen Frieden; es gibt keinen Frieden ohne Kommunikation, und wer die Besiegten demütigt, macht den Frieden nur zu einem Waffenstillstand; den Frieden mit Erwartungen zu überfordern, kann die Folgen eines Krieges verlängern; wenn die Verträge unterschrieben sind, beginnt die Arbeit am Frieden („doing peace“!); nicht jeder Sieg ist ein Gewinn, und manche Niederlage wird zur Chance.
Kriege können unterschiedlich enden
Kriege können sehr unterschiedlich enden, zum Beispiel durch den militärischen Sieg einer Seite, durch ein militärisches Patt, durch einen Friedensschluss durch Kompromiss, durch die Intervention Dritter oder durch die Überführung eines Krieges in einen Konflikt mit niedrigerer Gewaltintensität (vgl. S. 14 f.). Offenbar ist es auch so, dass Kriegsniederlagen eher langfristige Probleme oder latente Strukturprobleme offenlegen, und daher häufig als ein Katalysator fungieren. Aber gerade auch am Ende von Kriegen spielen die Deutungsmuster über Ursachen und Schuld eine wesentliche Rolle. Hier kann die sogenannte Dolchstoßlegende als Paradebeispiel gelten, als nach dem Ersten Weltkrieg von deutschen Militärs und Konservativen lauthals behauptet wurde, die Schuld an der Niederlage läge an Antikriegsprotesten, Kriegsmüdigkeit und politischen Fehlentscheidungen.
Ein weiterer Faktor, der militärisch von großer Wichtigkeit ist, ist „die Mobilisierung, Organisation und der Transport von Ressourcen: von Menschen, Waffen und Munition, wie von Technologien, Rohstoffen, Arbeitskräften und Kapital“ (S. 89). Mit immer neuen Technologien und deren militärischer Nutzung veränderten sich auch die Kriege und die Optionen, Frieden zu schließen. Auch die Sichtweise auf Frieden verändert sich im Laufe der Zeit, denn die traditionelle Bedeutung bezog sich vor allem auf die Abwesenheit von Gewalt. Doch jüngst wurden politische, wirtschaftliche und soziale Sicherheitsfunktionen des modernen Staates wichtiger. Hierauf beruhen dann auch die internationalen Prinzipien für Verhandlungsverfahren, Kriterien und Gesichtspunkte für Kriege und für Frieden. Leonhard konstatiert: „Geschichte wiederholt sich nicht, und sie liefert auch keine Blaupausen für Entscheidungen. Aber sie zeigt in einem großen Reservoir über Zeiten und Räume, welche Konstellationen warum zu welchen Ergebnissen führten. Sie offenbart Verlaufsmuster und Handlungslogiken genauso wie Ambivalenzen und paradoxe Situationen, und sie immunisiert gegen einfache Erklärungen, Analogien und Vergleiche“ (S. 17).
Kein Frieden ohne Kommunikation
Zur zentralen Erkenntnis gehört, dass es Frieden ohne Kommunikation nicht geben kann. Und „es ist gerade die Indienstnahme der ‚tiefen Geschichte‘, von Bildern und Erzählungen, die manipulative Verknüpfung von Interesse und Mythos, Kalkül und Emotion, aus der handlungsleitende Realität entstehen kann“ (S. 184). Hier taucht aber eine neue Gefahr auf: Nato und andere Akteur:innen entwickeln und nutzen bereits „cognitive warfare“ – Kommunikation wird dadurch mehr denn je zur Waffe und dürfte Friedensbemühungen zusätzlich erschweren.