Häufig verhindern Mythen über die Wahrnehmung ökonomischer und sozialer Wirklichkeiten Anstöße zur Veränderung bzw. zum Erhalt sozialer Errungenschaften, weil das Besondere an Mythen eben ist, dass sie sich immunisieren und keine Hinterfragung dulden. Eben dieses haben sich die beiden österreichischen Jungökonomen Christian Alexander Belabed und Tobias Hinterseer mit ihrem Band „Zehn Mythen zur Zukunft der Arbeit“ vorgenommen.
Sie beginnen mit einem kurzen historischen Abriss über den Wandel der Arbeit (der Mythos lautet dabei „Arbeit ist Arbeit und Arbeiten bleibt Arbeiten“), kommen dann auf den Mythos vom Ende der Arbeit sowie jenen vom Ende der Gewerkschaften zu sprechen. Mythos 4 wendet sich der Behauptung zu, MigrantInnen nähmen uns die Arbeit weg, was ebenso widerlegt wird, wie das Zu-Ende-gehen des Industriezeitalters (Mythos 5), vielmehr würden im Zuge der Digitalisierung und Automatisierung neue Industriedienstleistungen entstehen.
Mythos 6 und 7 widmen sich der Lohn-und Verteilungspolitik. Die von Wirtschaftsverbänden häufig zitierte Warnung, dass Mindestlöhne Arbeitsplätze zerstören , wird in Frage gestellt, vielmehr hätte eine Einkommenserhöhung der Niedrigverdienenden positive Wirkungen auf die Nachfrage, zudem erspare sie Sozialtransferleistungen und wirke der sozialen Segregation entgegen (als mögliche Gefahr wird höchstens gesehen, dass Gewerkschaften sich schwerer tun könnten, höhere Löhne durchzusetzen, da eben der Mindestlohn bezahlt werde). Dass Gewinne von heute immer die Investitionen von morgen seien (was ja von Unternehmerverbänden als Argument für Lohnzurückhaltung vorgebracht wird), widerlegen die Autoren anhand von statistischen Daten aus Deutschland und Österreich. Die größte Geldvermögensbildung sei demnach im Finanzsektor erfolgt, während die Vermögensbildung von Haushalten und dem Staat kaum gestiegen sei. Auch hier wird wiederum mit der entsprechenden Kaufkraftausstattung der privaten und öffentlichen Haushalte als wesentlicher Antrieb für unternehmerische Investitionen (in Erwartung höherer Absätze) argumentiert.
Mythos 8 widmet sich dem Ausspielen des angeblich unsicheren öffentlichen Pensionssystems als Notwendigkeit, stärker privat vorzusorgen. Nun habe sich aber spätestens seit der Finanzkrise 2008 die „private Versorge“ als wohl bedeutend unsichere Variante herausgestellt, die obendrein öffentlich gefördert werde. Das Plädoyer der Autoren gilt einer einheitlichen, öffentlichen Pensionsversicherung für alle StaatsbürgerInnen. Interessant im Zusammenhang mit dem vorliegenden Kapitelthema sind schließlich die Mythen 9 („das Normalarbeitsverhältnis wird verschwinden“ und 10 („Mehr Flexibilität im Job ist schlecht“). Die Autoren verweisen darauf, dass prekäre Jobs (ungeregelte Arbeitszeit, Einkommen unter Sozialversicherungspflicht u. ä.) in der Tat problematisch sind, dass es aber nicht zulässig sei, alle Teilzeitjobs in diese Kategorie einzuordnen. Vielmehr würde Teilzeit verstärkt (wenn auch nicht immer) als Wunscharbeitszeit realisiert, was die Freiheitsräume der Menschen erhöhe. Selbiges wir d auch für flexible Arbeitszeiten angenommen, die nicht a priori schlecht sein müssen.
Resümee: Ein Band, der ökonomische Sachverhalte verständlich vermittelt, häufig festgefahrene (bzw. interessenspolitisch positionierte) Sichtweisen gegen den Strich bürstet und diese jedoch auch empirisch untermauert. Wirtschaftspolitische Bildung im besten Sinne, die nicht zuletzt auch Tabus traditioneller Gewerkschaftsfunktionäre (wie Aufwertung der Teilzeit oder flexibler Arbeitszeitmodelle) anspricht.
Hans Holzinger
Belabed, Christian Alexander; Hinterseer, Tobias: Zehn Mythen zur Zukunft der Arbeit. Wien: ÖGB-Verlag, 2013. 113 S., 19,30 [D], 19,90 [A], CHR 36,- ISBN 978-3-7035-1544-6