Michael Renner über die Rolle des Autos

Ausgabe: 1989 | 2

Weltweit 200000 Verkehrstote jährlich, weitgehend verstopfte Verkehrswege in städtischen Gebieten (Durchschnittsgeschwindigkeit von acht km/h in London). Ballungsräume, die bis zu zwei Drittel der Gesamtfläche für den automobilistischen Alptraum bereithalten und gesellschaftliche Folgekosten des Automobils von etwa 300 Billionen $ pro Jahr allein in den USA: Das sind die Schattenseiten einer Industriegesellschaft, deren Traum von unbegrenzter Freizügigkeit sich quantitativ wie qualitativ ad absurdum führt. Langsam und vergleichsweise zögerlich sieht man auch in den USA die fatalen Folgen einer Entwicklung, die zu einseitig auf eine Karte setzte und nun erkennt, daß es offensichtlich die falsche war. Eine Gesellschaft, der es um die Schonung von Ressourcen, die Erhaltung lebenswerter Städte und eine intakte Umwelt ernst ist, kann nicht umhin, die Rolle zu überdenken, die sie dem Auto einräumen möchte. Welch gravierende Fehler in der verkehrspolitischen Planung der USA zu beklagen sind, zeigt u.a. die Tatsache, daß noch in den 20er und 30er Jahren 20 Billionen Passagiere pro Jahr mit (heute weitgehend demontierten) öffentlichen Verkehrsmitteln effizient und sicher von einem Stadtende zum anderen unterwegs waren; heute gilt es dagegen, neue Transportsysteme einzurichten und auf Strukturen zurückzugreifen, die man der Moderne für nicht angemessen hielt. In mancher Hinsicht gilt die Verkehrsplanung europäischer Metropolen als Vorbild für amerikanische Versäumnisse. Erlangen beispielsweise, dessen Radnetz an Länge fast 50 % aller öffentlichen Verkehrsflächen erreicht, wird ebenso hervorgehoben wie die vielfach schon erfolgreich praktizierte Kombination unterschiedlicher Transportmittel (Park-and-Ride). Wachsende Sorge bereitet zudem die automobilistische Misere in der Dritten Welt: da die Infrastruktur auch für vergleichsweise niedere Stückzahlen nicht ausreicht, sind vor allem die Stadtbewohner der südlichen Hemisphäre Leitragende der lndividualmotorisierung, die die Ärmsten zudem doppelt trifft, da sie bis zu  25 % ihres Einkommens für unzulängliche öffentliche Verkehrsmittel aufbringen müssen. 

Die vergleichsweise noch entspannte Situation in Europa sollte nicht zu übertriebenem Optimismus Anlaß geben: Legt man nämlich auch hierzulande die Folgekosten des Automobils auf den Benzinpreis um - was am ehesten der Wiedergutmachung mitverschuldeten Schadens gerecht würde so müßte der Benzinpreis etwa fünfmal höher als gegenwärtig angesetzt werden.

 

Renner, Michael: Transportation Tomorrow. Rethinking the Role of the Automobile. The Futurist. Vol. XXIII (1989),2, S. 14-20.