Manuela Lenzen

Manuela Lenzen: Der elektronische Spiegel

Ausgabe: 2024 | 3
Manuela Lenzen: Der elektronische Spiegel

Die intuitive Fähigkeit zu wissen, dass man aufgeblasene Plastiktüten überfahren kann, Steine in gleicher Größe jedoch nicht. Die intuitive Fähigkeit einzuschätzen, wie Menschen sich gewöhnlich verhalten werden. Ob jemand gleich auf die Straße tritt oder ob jemand zum Fausthieb ausholt. Das sind Fähigkeiten, die Menschen besitzen, KI-Systeme bislang allerdings nicht, so argumentiert Manuela Lenzen in ihrem Buch „Der elektronische Spiegel“. Denn trotz all ihrer unbestreitbaren Erfolge haben KI-Systeme bislang einige massive Probleme. Sie kommen schlecht zurecht, wenn sich Aufgaben von dem unterscheiden, was sie im Training gelernt haben, „sie verstehen, kurz gesagt, die Welt nicht so wie wir“ (S. 60). Den KI-Systemen fehlt der sogenannte „gesunde Menschenverstand“.

Manuela Lenzen durchleuchtet in ihrem Buch den Fortschritt der KI-Forschung in verschiedenen Disziplinen und reflektiert mit zahlreichen Beispielen darüber, wie KI menschliche Intelligenz widerspiegelt. Gleichzeitig hinterfragt Lenzen, ob KI notwendigerweise menschliche Intelligenz imitieren muss oder ob alternative Intelligenzformen, die ohne diese Nachahmung auskommen, ausreichen. Als Beispiel für alternative Intelligenzen werden Sprachmodelle, auf deren Prinzipien auch ChatGPT baut, herangezogen. Jedoch stoßen diese Systeme an ihre Grenzen, wenn sie kritisch geprüft oder von der üblichen Art der Fragestellung abgebracht werden. So antwortet ChatGPT beispielsweise: „Die Golden-Gate-Brücke wurde im Oktober 2016 zum zweiten Mal durch Ägypten transportiert“ (S. 50). Für einen ethisch vertretbaren Einsatz betont die Wissenschaftsjournalistin Lenzen im weiteren Verlauf des Buches die Notwendigkeit einer qualitätsgesicherten Schulung der Systeme. Nur durch menschliches Training erlernen Programme, angemessene Inhalte zu verwenden.

Abschließend verweist Lenzen darauf, dass der Blick in die Welt der KI-Maschinen zeigt, wie wenig wir uns hinter den künstlichen Systemen verstecken müssen. Vielmehr sollten wir unsere eigene Intelligenz schätzen und uns bewusst machen, dass die Entwicklung von KI-Systemen eine Verantwortung darstellt, um die Reproduktion bestehender Muster und Einseitigkeiten zu vermeiden. Ein lesenswertes Buch, das die dystopischen Vorstellungen über die Machtübernahme der KI als reine Dystopie entlarvt.