Xiaowei Wang ist eine in Kalifornien lebende „Künstlerin, Autorin, Organisatorin und Coderin“ (so die Selbstbeschreibung auf ihrer Webseite) mit chinesischen Wurzeln. Sie möchte mit dem Buch die überall spürbare „Metronormativität“, laut der Metropolen die Entwicklungspole der Welt sind und das Leben auf dem Land immer hinterherhinkt, am Beispiel China hinterfragen (S. 10 ff.).
Eine Reise ins ländliche China
Zu diesem Zweck nimmt die Autorin ihre Leser:innen mit in das ländliche China, das sich in den letzten Jahren im Rahmen der von der Regierung betriebenen „Politik der Revitalisierung des ländlichen Raums“ stark verändert hat. Ein Besuch auf der titelgebenden Hühnerfarm, auf der Hühner für die städtische Oberschicht gezüchtet werden (Stückpreis um die 40 US-Dollar) zeigt z. B., wie die Blockchain-Technologie dafür eingesetzt wird, den Kund:innen eine lückenlose und fälschungssichere Herkunftsverfolgung zu ermöglichen.
Weitere Kapitel beschäftigen sich u. a. mit dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz in einem Schweinezuchtbetrieb, dem Bedeutungswandel der Message „Made in China“, der Arbeit der Polizei in einer mittels Videokameras überwachten ländlichen Umgebung, dem Drohneneinsatz für eine „Präzisionslandwirtschaft“ (S. 115), oder einem Besuch in einem der weltweiten Zentren der Perlenzucht. Die Beispiele machen klar, wie radikal sich die Welt des ländlichen Chinas in den letzten 10 bis 15 Jahren verändert hat. So sind das bargeldlose Zahlen mit Alipay oder auch Livestreams, in denen Bauern ihre Produkte anbieten, inzwischen für große Teile der Landbevölkerung zur Selbstverständlichkeit geworden.
Seit 2013 bietet das chinesische Amazon-Pendant Alibaba spezialisierte Programme für die ländliche Bevölkerung an, mit dem „hehren Ziel, das Leben der Menschen im ländlichen China zu verbessern“ (S. 195). Eines davon sind die Tausenden von Taobao-Dörfern, Dörfer, die sich ganz dem E-Commerce verschrieben haben und ihre Produkte über die Alibaba-Webseite absetzen. Das Kapitel „Shoppingtour in der Bergfestung“ erzählt die Geschichte des kleinen Dorfes Dinglou in der Provinz Shandung, wo die Öffnung Richtung E-Commerce und die Umstellung des Dorfes auf eine spezielle Produktlinie (Kostüme für Bühnen und Filmzwecke) es den Dorfbewohnern erlaubt, ihre Produkte weltweit zu verkaufen, wodurch neuer Reichtum in das Dorf geflossen ist. Alibaba arbeitet daran, das Konzept der Taobao-Dörfer auch in andere Länder und Kontinente zu exportieren.
Die einzelnen Erzählungen gehen weit über reine Reiseberichte hinaus, da das vor Ort Erlebte immer auch Anlass für tiefgehende allgemeine Reflexionen ist. Diese betreffen u. a. das Weltbild, das der Blockchain-Technologie zugrunde liegt, den Umgang mit den Verlockungen der Künstlichen Intelligenz, die Bedeutung von Innovationen, Online-Shopping (mit Einkauf direkt beim chinesischen Kleinproduzenten) oder auch die Welt der oft prekär lebenden Verkaufshelfer:innen in China oder auch den USA. Dabei werden liebgewonnene Überzeugungen – in Umkehrung des üblichen Stadt-Land-Narrativs – vielfach in Frage gestellt.
Eine spannende Lektüre
Eine spannende, wenn auch nicht immer einfache Lektüre für Menschen, die eher unbekannte Aspekte des Aufstiegs Chinas zur zweitgrößten Wirtschaftsmacht der Welt kennenlernen wollen, oder die auf der Suche nach neuen Anregungen für den ländlichen Raum sind.