Was braucht eine nach Jahrzehnten korrupter Herrschaft großteils verfallene Stadt wie Leipzig dringender: Geld oder Phantasie? Autor wie Mentoren dieses Buches sind sich einig: Ohne Geld geht es nicht, aber der zielsetzende und motivierende Anreger ist die Kultur. In dem Bericht über eine Zukunftswerkstatt 1990 in Leipzig wird Friedrich Hölderlin zitiert, real tritt dann der italienische Dichter und Drehbuchautor (z.B. für Fellini, Antonioni, Francesco Rosi) Tonino Guerra auf, der gemeinsam mit einem Freund, Kulturmanager Gianni Giannini, jahrelange Erfahrungen mit der Gestaltung von "poetischen Orten" im Marecchia-Tal am Rande der Toskana in die Diskussion um die Zukunft der Stadt einfließen lässt. Das Buch, das sich in insgesamt 16 Kapiteln mit "Gedanken und Strukturen" sowie mit "Modellen und Projekten" zu einer demokratischen multikulturellen Stadtentwicklung befasst, orientiert sich am Ideenreichtum und der anregenden Vielfalt der schon verwirklichten konkreten Utopien des Tonino Guerra und seiner Freunde (zu ihnen ist auch Robert Jungk und die von ihm gegründete Bibliothek in Salzburg zu zählen.) Eine Reihe von Kapiteln ist in Gesprächsform, in der Tradition der italienischen Discorsi, abgefasst. Als beispielhafte Entwicklung für öffentliche Kommunikation im Stadt-Raum in Deutschland (nach dem "Vorbild" der italienischen Piazza) werden Göttingen, Tübingen sowie - ausführlicher Unna (Ruhrgebiet) und Altenburg (Thüringen) beschrieben. Abgesehen von den italienischen Einflüssen wird an mehreren Stellen auch auf niederländische sowie, in geringerem Ausmaß, auf andere europäische Erfahrungen Bezug genommen. Das Buch ist eine interessante Lektüre für all jene, die nicht nur wissen wollen, wie ein sinnvoller europäischer Kulturaustausch ausschauen könnte, sondern wie er bereits tatsächlich stattfindet. Für manche wird das Buch an einigen Stellen vielleicht zu assoziativ sein, für andere jedoch sich als anregend herausstellen. W F.
Günter, Roland: Kulturelle Stadtutopien. Ein Ideen-Buch. Essen: Klartext-Verl., 1992.243 S., DM 24,80/ sFr 21/ öS 193