Sind wir, gefangen in den Denkmustern der Moderne, dazu verdammt, "mit dem Rücken voran ins nächste Jahrtausend" zu stolpern? Angesichts der Schatten- und Schlagseiten des Fortschritts nimmt die Zahl derer zu, die die Geschichte der letzten 300 Jahre nicht als eine Aneinanderreihung von Erfolgen verstehen wollen. Dass jedoch auch der Beginn der Aufklärung alles andere als eine glanzvolle, erleuchtete Epoche war, zeigt Stephen Toulmin in diesem faszinierenden Band. Die Vorstellung, dass sich Natur und Gesellschaft nach denselben rationalen Gesetzen entwickeln würden und gestalten ließen, war für die Intellektuellen des 17. Jahrhunderts eine stabilisierende Vision, mit der sie ihrer von Kriegen und kirchlicher Repression geprägten Zeit begegneten. Die Skepsis gegenüber Mehrdeutigkeit und Ungewissheit führte zur Ablöse des Wissenschaftsverständnisses der Humanisten: An die Stelle der mündlichen Tradition und der Wertschätzung des Diskurses trat die schriftliche Abhandlung, die Erörterung des Einzelfalls wich der Darstellung des Allgemeinen, vom Lokalen zum Globalen, vom Zeitgebundenen zum Zeitlosen hin wandte sich die Aufmerksamkeit. Die Verklärung des Theoretischen - in deren Folge die Idee nationalstaatlicher Souveränität, der "homo oeconomicus". sozialistische und technische Utopien bis hin zu blutlosen Abstraktionen vorangetrieben wurden - sowie die jüngst zu beobachtende Hinwendung zu praxis- und kontextbezogener Wissenschaft ist Gegenstand der physikalische, ethische, geschichtliche und ästhetische Aspekte gleichermaßen einbringen- den Untersuchung. In der Kultur der Postmoderne, der Wiederentdeckung der praktischen Philosophie, der Ökologie-Diskussion und der zunehmenden Durchsetzung politischer Partizipation sieht Toulmin Anzeichen für eine Renaissance humanistischer Kategorien, die Möglichkeit der Versöhnung von Rationalität und Vernunft. Wenn es u.a. gelingt, eine Vereinigung nichtstaatlicher Organisationen zu gründen, von "Leviathan auf Liliput" zu wechseln, dann könnte ein weiteres Mal eine Kultur der Toleranz, der Mehrdeutigkeit und Bescheidenheit entstehen. Überzeugend zu vermitteln, dass dies keine Illusion, sondern begründete Hoffnung ist, zeichnet Toulmin und diese Studie aus. Walter Spielmann
Toulmin, Stephen: Kosmopolis, Die unerkannten Aufgaben der Moderne. Frankfurt/M..: Suhrkamp, 1991. 364 S., DM 58,- / sFr 49,10/ öS 452,-