Jugend und Gewalt

Ausgabe: 1993 | 3

"Die Kinder und Jugendlichen, die jetzt durch ihre Gewalt Aufmerksamkeit erregen, sind Produkte der Pädagogik der realen Marktverhältnisse: Wer Mitgefühl zeigt, geht unter; nur der Starke, nur wer keine Skrupel kennt, setzt sich durch!" Unsere Gesellschaft ist eine "Alzheimer-Gesellschaft": Sie verliert durch den zunehmenden Konsumzwang ihre" Persönlichkeit", also ihre Konturen und traditionellen Werte. Soziale Einrichtungen, die bisher halfen, die Verhaltensmuster der Kinder und Jugendlichen zu prägen, versagen mehr und mehr, so die Ausgangsphase dieses Buches. Zu Beginn zeigen die Autoren, wie vor allem konservative Kräfte auf die zunehmende Gewaltbereitschaft der Jugend reagieren, indem sie staatliche Projekte zu ihrer Betreuung fördern. Aber moralische Werte können nicht mit Geld gekauft, sondern müssen in den Familien gelehrt und gelebt werden. Doch die Eltern selbst bereits Opfer der grenzenlosen Industrie- und Konsumgesellschaft - sind nicht mehr in der Lage, ihren Kindern Grenzen zu zeigen und ihnen dabei doch die Wärme zu geben, die sie brauchen. Kinderwerden nicht selten als zusätzliche Belastung empfunden und müssen sich die Zuneigung ihrer Eltern durch gute Leistungen und durch möglichst frühe Selbständigkeit erkaufen. Die Schule kann die Sozialisationsdefizite nicht wettmachen und wird zunehmend selbst zum Schauplatz von Gewalt, und die Berufswelt erfaßt viele Jugendliche in Zeiten zunehmender Arbeitslosigkeit überhaupt nicht mehr. Zuletzt analysieren Eisenberg und Gronemeyer, warum die politische Rechte eine so große Faszination auf potentiell gewalttätige Jugendliche ausübt: Durch klare Feindbilder können sich die Aggressionen entladen. Nur eine wiedererstarkte Linke wäre nach Ansicht der Autoren in der Lage, die gewalttätigen Energien umzulenken auf einen "Kampf gegen den Wahnsinn der rasenden Industrie". Doch noch arrangiert sich die Linke mit den realen Verhältnissen und ist nicht in der Lage, positive Utopien, die Jugendliche begeistern können, zu entwickeln. I. L.

Eisenberg, Götz; Gronemeyer, Reimer: Jugend und Gewalt. Der neue Generationskonflikt oder Der Zerfall der zivilen Gesellschaft. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1993. 223 S. DM 12,90 / sFr 10,90 / öS 100,60