Erziehung gegen Gewalt , Aggressions- und Hass-Spirale

Ausgabe: 1994 | 4

Die Gewaltsymptomatik und ihre mediale Aufbereitung bzw. Ausschlachtung sind Bestandteil des Alltags geworden: Minderjährige Kinder bringen einen Zweijährigen um, Skinheads stecken Asylantenheime in Brand, Ausländerinnen werden mit gesprühten Parolen und gelebter Brutalität in Lebens (Todes?)-Angst versetzt. In Deutschland richten Schülerinnen jährlich einen Sachschaden in der Höhe von 200 Millionen Mark an den ihnen wohl verhassten Schulgebäuden und dessen Mobiliar an. Der innere Schaden, die Beschädigung des Menschen der Schülerinnen wie des Lehrpersonals - der an Schulen (nicht nur in Deutschland) angerichtet wird, lässt sich hingegen nicht messen. Der Erziehungswissenschaftler Peter Struck unternimmt mit der vorliegenden Analyse der Gewaltsymptomatik und ihrer Ursachen den Versuch das Phänomen "Gewalt" einerseits weit zu fassen und darzustellen und andererseits beschreitbare Auswege aufzuzeigen.

Er sieht u. a. auch im Suchtverhalten - z. B. Sucht nach Arbeit, Alkohol, Nikotin ... - oder psychosomatischen Störungen Akte der Gewalt: in diesen Gewaltakten gegen sich selbst sind Täter und Opfer in einer Person vereint. Sprachlosigkeit, das trotzige oder resignierte Verstummen also, sowie der Gewalt in der Sprache sind wichtige Indikatoren dieser Form von Gewalt. Der Autor stellt Kindheit in veränderten Lebenswelten eindrücklich und mit vielen Statistiken belegt dar; er zeigt, dass sich die einstens relativ homogene Jugendkultur - Jeansanzug, Beatle-Frisur ... - auf mehr als 200 Nischen - Rapper, S-Bahn-Surfer, Jugendsektenmitglieder, Grufties, Hooligans ... - aufgeteilt hat. Diese Entwicklung hat Feindbilder wachsen lassen, die nach dem Muster Die-da und Wir-hier gestrickt sind und ein zusätzliches Gewaltpotential darstellen. Feindbilder, überhöhte Ideale - der Familie, der harten Männlichkeit, der allumfassenden Mütterlichkeit sowie gesellschaftliche Benachteiligungen, sind ein guter Dünger eines Milieus.

Die hier skizzierten Auswege sind nur auf den ersten Blick lapidar: die Erziehenden müssen das Setzen von "guten" Grenzen wiederentdecken, weder in die Fänge der erzieherischen Enge zurückkehren noch im Niemandsland des "alles ist erlaubt" verweilen. Der hier angepeilte Weg lässt viele Ideale von Macht und Männlichkeit auf der Strecke bleiben und ist gerade deshalb interessant.

C. R.

Struck, Peter: Erziehung gegen Gewalt. Ein Buch gegen die Spirale von Aggression und Hass. Neuwied (u. e.): Luchterhand Verl., 1994. 234 S., DM 19,80/ sFr 16,80/öS 155