Friedensforschung

Ausgabe: 1995 | 4
Friedensforschung

Editorial 4/1995

Das Bemühen um Frieden, verstanden als Reduzierung und Verhinderung von Gewalt, ist vermutlich so alt wie die Menschheit, die Mobilisierung der modernen Wissenschaften zur Erforschung der Bedingungen von Frieden und zum Aufbau einer Wissensbasis darüber, ist hingegen neu. Alt ist auch die Idee, Frieden mit beinah allen Mitteln erlangen zu wollen. Sie überwintert in Slogans wie "si vis pacem, para bellum". Die Idee, Frieden mit friedlichen Mitteln zu erreichen, ist neueren Datums. Ich zum Beispiel würde sie mit Gandhi identifizieren ("Es gibt keinen Weg zum Frieden; der Frieden ist der Weg") und dann nicht nur als moralische Aufforderung, sondern als etwas sehr Praktisches und Machbares. Mit anderen Worten: etwas Realistisches. Wenn Friedensforschung I richtigerweise den Schwerpunkt auf die Akkumulation von Wissen durch Forschung legte, dann hat Friedensforschung II den Schwerpunkt auf die Akkumulation von Fertigkeiten zum Handeln. Bildung wird in beiden Phasen benötigt. Es ist überflüssig zu sagen, dass Friedensforschung II stets versuchen wird, Friedensforschung I zu integrieren, denn Fertigkeiten ohne Wissensbasis werden leer, rituell, vermutlich auch unflexibel, nicht anwendbar auf konkrete Bedingungen. Mit anderen Worten: gefährlich. Dies trifft auf die Makroebene (Welt), die Mesoebene (Gesellschaft) und die Mikroebene (Kommune, Familie) zu. Die Grundfrage lautet, wie Wissen und Fertigkeiten zu integrieren sind. Ein allgemeines Schema ist der medizinischen Ausbildung entlehnt, da Gesundheit und Krankheit mit Frieden und Gewalt in vielem vergleichbar sind; es basiert auf dem Dreischritt Diagnose-Prognose-Therapie. Andere Dreiwort-Kombinationen würden Analyse-Vorhersage-Eingreifen einschließen. Daraus wird deutlich, dass es eine Bewegung von Wissen hin zu Fertigkeiten gibt, wobei eine scharfe Trennung nicht möglich ist (aber auch nicht sein muss). Ein "Master of Peace and Conflict" -Programm müsste mit allgemeiner Konfliktheorie beginnen, um sich dann auf jene Bruchlinien der menschlichen Beziehungen zu konzentrieren, an denen tendenziell Konflikte aufbrechen. Mensch versus Natur; Mann versus Frau; Junge versus Alte; Weiße versus Farbige; Oberschicht versus Unterschicht; Konflikte zwischen Nationen und Konflikte zwischen Ländern. Der Friedenskurs müsste die verschiedenen Typen von Gewalt untersuchen. Zum Beispiel direkte Gewalt (physische versus verbale), strukturelle Gewalt (Repression, Ausbeutung) und kulturelle Gewalt (Rechtfertigung von direkter oder struktureller Gewalt aufgrund von kulturellen Aspekten) und dann natürlich Wege zur Überwindung und Verhinderung von Gewalt sondieren. Es geht mit anderen Worten darum, eine kurative und präventive Gewalttherapie zu entwickeln. Dazu bedarf es vor allem zuerst einmal größerer Genauigkeit. Schauen wir uns Gewalt an: wie wirkt sie? Eine mögliche Antwort wäre auf die Verletzung menschlicher Bedürfnisse bezogen. Wenn diese unterteilt werden in Bedürfnisse für das Überleben, für das Wohlergehen, nach Freiheit und Identität. dann müssen wir uns offensichtlich mit vier Macht- oder Institutionstypen beschäftigen: Militär, Wirtschaft, Regierungsform und Kultur. Eine Kursreihe könnte demnach folgende Themen anbieten:

  • Militärische Gewalt und alternative Sicherheitssysteme
  • Politische Gewalt und alternative politische Systeme
  • Ökonomische Gewalt und alternative Wirtschaftssysteme
  • Kulturelle Gewalt und alternative Friedenskulturen.

Vor zwei Formen des Kursaufbaus möchte ich abraten, und wenn sie gewählt werden, dann ist größte Vorsicht geboten: Erstens die Unterteilung gemäß den akademischen Disziplinen (psychologische Aspekte, ökonomische Aspekte etc. von Frieden und Gewalt), denn dies bedeutete das Verharren bei den traditionellen Fachgebieten. Und zweitens die geographische Unterteilung (Frieden auf dem Balkan, Frieden in Südostasien usw.). Frieden ist unteilbar. Seine Bedingungen können in unserer hoch vernetzten Welt niemals angemessen verstanden werden, wenn sie nur für eine bestimmte Region gesondert betrachtet werden. Die Arbeit an Friedensstudien ist transnational und erfordert globale Ansätze. Sehr brauchbar wäre jedoch der Ansatz, jene, die Friedenswissen und Friedensfertigkeiten anwenden, also Mitglieder von NGOs und Regierungen, Kirchen und Gewerkschaften, Bildungsinstitutionen und Medien, einzubeziehen. Sie könnten sowohl als Studierende wie auch als Sachverständige (ressource persons) teilnehmen.