Wie sicher ist Europa?

Ausgabe: 2001 | 3
Wie sicher ist Europa?

Perspektiven einer zukunftsfähigen Sicherheitspolitik nach der JahrtausendwendeDie abgewandelte Pilatusfrage „Was ist Sicherheit?“ überschattet diese ambitionierte Dokumentation über die Sommerakademie 2000 im burgenländischen Stadtschlaining. Friedensforscher, die gewohnt sind, ihre Analysen und Lösungsvorschläge in oft in Widerspruch zu den Vorgaben von Politikern und Militärs darzulegen zu müssen, werden zunehmend von scheinbar ferner liegenden Problemen herausgefordert. Peter Steyrer aktualisiert in seinem Beitrag (S. 14ff) die bei einem NATO-Gipfel 1991 aufgelisteten Bedrohungsfelder: politische, wirtschaftliche und soziale Instabilität in Osteuropa; nukleare, biologische und chemische Waffen, Unterbrechung der Zufuhr von Rohstoffen; Terror- und Sabotageakte; Umweltkatastophen; Bevölkerungswachstum; religiöser Extremismus ; organisierte Kriminalität und Migratenströme. Konfliktbewältigungsstrukturen wie sie in der OSZE, aber auch in der aktiven Neutralitätspolitik Österreichs (v.a. unter Bundeskanzler Kreisky) wirksam wurden, werden systematisch durch die Offensivstrategien der NATO und der derzeitigen österreichischen Regierung verdrängt. Paul Virilio ist es zu danken, dass das Dogma von „speed skills“, das militärische Eingreiftruppen zu „speed kills“ weiterentwickelten, auch auf seine Wirkung in "zivilen" Eroberungskonzepten (von Märkten bis zu Gehirnen) untersucht werden. Der Beitrag von Tuschl konzentriert sich leider primär auf den Teilbereich "Cyberwar und Medien" (S. 113ff). Modernisierungsverlierer, die dieses "Fortfahrtstempo" nicht mithalten können bzw. wollen und deswegen von neoliberalen "Global Players" und deren Institutionen wie WTO, IMF und Weltbank als "Fortschrittsverweigerer" abqualifiziert werden, wehren sich nun mit weltumspannenden Protesten und Alternativen. Gegenüber dem umfassenden Herrschaftsanspruch bündeln weltweit Initiativen und Bewegungen ihre Kräfte und Ziele zu einer in einer "Globalisierung von unten". Als in ihrer Existenz am stärksten Betroffene erlangen die Stimmen aus dem „Süden“ in Kooperation mit entwicklungspolitischen und Ökobewegungen des „Nordens“ zunehmend Einfluss Diese Entwicklung skizzieren - am Beispiel des Widerstandes gegen die Welthandelsorganisation (WTO) - Iris Strutzmann und Jens Karg, Mitarbeiter von „Global 2000 / Friends of the Earth“. Nicht revidierbare Entscheidungen (z.B. die Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen, die Zerstörung ganzer Ökosysteme...) erfordern Gegenmaßnahmen und stellen zugleich langwierige Konsultations- und Mediationsprozesse in Frage. Faktoren, die einer dekretierten Sicherheitsdefinition entgegen stehen, werden von den Verursachern nach Bedarf schnell an den Rand gedrängt. Das zeigt sich etwa am Beispiel der über Jahrzehnte anhaltenden Strahlenbelastung von Teilen des Balkans durch NATO-Geschoße (DU). Hat die zuständige UN-Behörde Entwarnung gegeben, um die betroffenen Flüchtlinge - teils zwangsweise - in diese Gebiete zurückzusenden, als Helfer für den Wiederaufbau der Wirtschaft? Leider ist dies auch in diesem - ansonsten sehr informativen - Buch kein Thema! Zur Aktualisierung dieser komplexen Informationen und besseren Vernetzung der (Friedens)Initiativen wären ergänzende Adressen und Hinweise auf homepages dienlich. Dies sollte sich bei nächster Gelegenheit nachholen lassen. M. Rei.

 

Wie sicher ist Europa? Perspektiven einer zukunftsfähigen Sicherheitspolitik nach der Jahrtausendwende. Hrsg. v. Österr. Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung. Münster: Agenda-Verl., 2001. 235 S. (dialog; 38) DM 36,- / sFr 33,- / öS 263,-