Mit Norberto Bobbio, dem Autor des Buches "Rechts und Links", stimmt Anthony Giddens überein, daß die beiden Kategorien im Kontext emanzipatorischer Politik auch in Zukunft von Relevanz sein werden: "Die Linken bemühen sich stärker als die Rechten um eine Bekämpfung der Ungleichheit." Er macht aber deutlich, daß diese Begriffe, wenn sie die alten Problemlösungsmuster perpetuieren, die Chancen auf eine "erfinderische Politik" verbauen. Der Konservativismus sei verstrickt in den Widerspruch zwischen neoliberalem Wirtschaftskonzept, weiches nichts mit "Bewahren-Wollen" zu tun habe, und dem Versuch des erneuten Rückbezugs auf Tradition, etwa im Bereich der Geschlechter. Viele Befürworter des Sozialstaats wiederum blieben dem aus ökologischen Gründen zu hinterfragenden Konzept des ”Produktivismus" verhaftet und reduzierten Wohlfahrt auf finanzielle Transfers. Giddens verwehrt sich gegen die Politikabgewandtheit vieler Postmoderner, er teilt aber auch den Pessimismus vieler Linker (etwa angesichts der Globalisierung) nicht. Vielmehr spricht er mit Ulrich Beck von einer "zweiten Moderne", in der Reflexivität. Dialog und eine "Politik der Lebensführung" ins Zentrum rücken. Eine ”posttraditionale Gesellschaft", in der Werte und Bezüge reflexiv hergestellt werden, berge demnach die Chance zu mehr Freiheit und Selbstbestimmung. "Erfinderische Politik" könne diese Prozesse unterstützen (Giddens nennt etwa den Zusammenhang von Gesundheitsvorsorge und Lebensführung oder eine neue Sicht des Alters). Eine ”Nachknappheitsordnung", die nicht mehr von Produktivismus, sondern von Produktivität bestimmt sei, ermögliche die Chance der Selbstverwirklichung in viel umfassenderer Weise als das alte Vollerwerbsideal. "Dialogische Demokratie" schließlich wird nach Giddens bestimmt von Transparenz, Reflexion und Toleranz. Sie grenze sich so ab gegen Fundamentalismen jeder Art, sie greife aber auch über die demokratischen Institutionen hinaus und rücke wiederum selbstbestimmte Lebensführung ins Blickfeld. Nicht der Liberalismus, wie manche Konservative meinten, sei die Gefahr für die Demokratie, sondern Konsumismus oder Hedonismus (diese in den Mittelpunkt zu stellen, ist Giddens Hauptkritik am Kapitalismus). Der Autor sieht soziale Bewegungen und Selbsthilfegruppen, aber auch jene "informelle Ökonomie" in Ländern des Südens, die auf Selbsthilfe setzt, als Vorbild für diese "alternative Entwicklung", die zugleich eine Antwort auf die ökologischen Gefahren darstelle. Giddens wendet sich schließlich noch der Frage der "Bewältigung oder Begrenzung der Gewalt" zu, wobei er dialogische Demokratie und globalen Kosmopolitismus nicht weniger als die Abkehr vom Patriarchat und militärischen Werten als positive Trends ausmacht. "Empirisch gesehen" seien zwar zahlreiche Katastrophenszenarios denkbar wie der Aufstieg totalitärer Regime, der Zusammenbruch des Ökosystems der Welt oder eine Gesellschaft "im Belagerungszustand, in der die verschanzten Reichen in ständigem Kampf mit der armen Mehrheit" lebten. Dem stellt Giddens aber die Möglichkeit der Ethik einer zur Globalisierung tendierenden posttraditionalen Gesellschaft gegenüber, die u.a. von der "Anerkennung der Unantastbarkeit des menschlichen Lebens", dem "allgemeinen Recht auf Glück und Selbstverwirklichung" sowie der "Pflicht zur Förderung der kosmopolitischen Solidarität bestimmt ist.
Diese Utopie mag idealistisch anmuten. der Autor füllt sie aber mit konkreten Perspektiven. die in manchem wohl auf ihre Aussparungen (etwa der Rolle des globalen Kapitalismus) befragt werden müssen. aber der Melancholie des Abschieds, die viele Linke erfaßt hat etwas entgegensetzen. für das es sich zu engagieren lohnt H. H.
Giddens, Anthony: Jenseits von Links und Rechts. Die Zukunft radikaler Demokratie. Frankfurt/M; Suhrkamp, 1997. 339 S. (Edition Zweite Moderne) DM / sFr 30, - / öS 234