Bernd Kortmann, Günther G. Schulze

Jenseits von Corona

Ausgabe: 2021 | 3
Jenseits von Corona

30 Autor:innen gehen in diesem Band einer „Welt nach der Pandemie“ nach. Erschienen im Herbst 2020, behalten die Texte mit wenigen Ausnahmen ihre Aktualität, weil es eben um Ausblicke geht. Eine Vielfalt an Aspekten wird angesprochen, die Beiträge sind selbstredend vorsichtig gehalten, was Prognosen anbelangt.

Dieter Thomä verweist in seinem „Wunschzettel für die Welt nach Corona“ (S. 56) auf den Erhalt einer „Gesellschaftsfähigkeit“, etwa „sich an Regeln zu halten und nicht nur Dienst nach Vorschrift zu leisten“ (S. 57), die für kommende Krisen nützlich sein könnte. Bettina Pfleiderer hofft auf die Aufwertung des Gesundheitssektors und insbesondere die Anpassung der „Strukturen im klinischen Alltag an die Bedürfnisse und Lebenswirklichkeiten“ (S. 87) der dort Tätigen, mehrheitlich Frauen. Karl-Heinz Leven zerstreut aus der Sicht des Medizinhistorikers die Hoffnung, dass „mit einer Corona-Impfung die wichtigsten Probleme gelöst wären“ (S. 96). Weltweit verbreitete Infektionskrankheiten wie Malaria, Tuberkulose oder AIDS seien keineswegs ausgerottet, und die Bekämpfung des Corona-Virus sei gerade in ärmeren Ländern aufgrund geringerer Ressourcen meist schwieriger. Herfried und Marina Münkler gehen aus politikwissenschaftlicher Perspektive davon aus, dass der Westen zerfallen könnte und neue Grenzregime entstehen, Staatenbünde, die „sich über längere Zeit mit allem Nötigen versorgen“ (S. 108) können. Der Wirtschaftshistoriker Jürgen Osterhammel befürchtet, dass das Ringen um globale Kooperation noch schwieriger werden könnte, auch wenn das „globale Dorf der 1990er-Jahre“ nun zum „globalen Patienten der 2020“ (S. 259) geworden sei.

Die Philosophin Lisa Herzog setzt in „Wir Abhängigen“ auf die Erkenntnis, dass wir wieder mehr „gelebte Solidarität“ und eine Überwindung des „kompetitiven Hyper-Individualismus“ (S. 112) anstreben sollten. Ähnlich argumentiert Birgit Meyer, die das „Projekt des singulären Individuums“ (S. 151) ad absurdum geführt sieht und meint, dass wir uns auf ein Leben mit dem Virus einrichten müssten. Gehofft wird auch auf Lerneffekte für die Bewältigung der ökologischen Krisen und die Chance, „die durch das Virus erzwungenen Einschnitte und Verhaltensänderungen positiv zu wenden und nachhaltig tragfähige Reformen auf den Weg zu bringen“ (Wilhelm Krull, S. 132). Mit Blick auf die Finanzierung der Pandemiefolgen warnt Lars P. Feld vor einer zu „expansiven Fiskalpolitik“ (S. 183), er ruft nach strukturellen Reformen in schwächelnden EU-Ländern sowie für Deutschland in Bezug auf die demographische Wende, wenn die Babyboomer in Rente gehen werden. Im Kontext der Wissenschaft wird schließlich die Verstärkung des transdisziplinären sowie des demokratischen Diskurses (Gerd Folkers) einschließlich des Umgangs mit Verschwörungstheorien (Michael Butter) sowie die Zur-Verfügung-Stellung von Impfstoffen als globales öffentliches Gut (Shalini Randeria) eingefordert. In Summe spannende Ausblicke. Zu bemerken bleibt, dass keine dezidierten Voten für eine grundlegend andere Wirtschaftspolitik eingemahnt werden.