Jacques Attali über das Millenium

Ausgabe: 1992 | 3

In diesem kleinen Essay entwirft Attali, langjähriger Berater des französischen Staatspräsidenten Mitterrand und jetziger Präsident der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung in London, Konturen einer am Horizont erkennbaren Zukunft. Das vor uns liegende Datum der Jahrtausendwende nimmt der frühere Wirtschaftsprofessor zum Anlass für seinen Ausblick auf eine neue Weltordnung. Seine scharfsinnigen Überlegungen gehen davon aus, dass das zentrale Organisationsprinzip der Zukunft ein ökonomisches sein wird; dementsprechend wird auch Gewalt hauptsächlich durch die Wirtschaftsmacht gehandhabt. Das wiederauflebende Wachstum im Norden wird die Kluft zwischen Besitzenden und Habenichtsen noch weiter vergrößern. Die Zahl der Verlierer „Nomaden der Armut") wird die der Gewinner um einen unvorstellbaren Faktor übertreffen. Als die uns am stärksten bedrängenden Probleme erachtet Attali bekannte Phänomene. Bevölkerungsexplosion, Armut, Drogenmissbrauch, Ökokollaps, Genmanipulation und Rüstung. Zu deren Bewältigung fordert er internationale Autorität und durchsetzungsfähige Institutionen. "Die Idee von Heiligtum und Treuhandschaft muss zur Devise werden, die ein globales Überlebensprogramm untermauert." Der Schlüsselbegriff für die Beschreibung der Konsumkultur und des Lebensstils des nächsten Jahrtausends ist für den Autor das Wort "nomadisch", etwa für Gegenstände fortschrittlicher Technologie wie Laptops oder Walkmans, weil sie klein und mobil sind. Die dynamischen Marktkräfte, so Attali, werden die Erfindung der "nomadischen Objekte der Zukunft" vorantreiben. Gleichzeitig fordert er aber, dass die Dinge auf eine neue Art und Weise angegangen werden. Dazu ist eine "heilige Übereinkunft zwischen Menschen und der Natur" notwendig, "damit die Erde überlebt das Kurzlebige dem Ewigen weicht und die Vielfalt 'dem Gleichmacherischen trotzt". Alfred Auer

Attali, Jaques: Millennium. Gewinner und Verlierer in der kommenden Weltordnung. Düsseldorf (u. a.): Econ-Verl., 1992. 141 S., DM 39,80 / sFr 33,70 / öS 310,40