Kann es sein, dass uns angesichts der vielen klima- und umweltbedingten Katastrophenmeldungen der letzten Jahre der positive Blick auf die Zukunft abhandengekommen ist, und viele daher der Verzweiflung nahe sind? Die Autorin bejaht diese Frage und nimmt sie zum Ausgangspunkt ihres Buches, das sie bewusst als Antithese zu den Aktivitäten der „Letzten Generation“ positioniert. „Ich denke nicht, dass wir die letzte Generation sein werden – die Fakten sprechen eher für das Gegenteil. […] Wir haben die Chance, die erste Generation zu sein, die die Umwelt in einem besseren Zustand zurücklässt, als der in dem wir sie vorfanden“ (S. 21).
Hannah Ritchie, Jahrgang 1993, ist Senior Researcher im Programm für Globale Entwicklung der Universität Oxford. Sie ist außerdem in verantwortlicher Position für die Online-Publikation „Our World in Data“ tätig und publiziert regelmäßig in internationalen Medien.
Das erste Kapitel („Nachhaltigkeit. Eine Gleichung mit zwei Teilen“) greift die Brundtland-Definition von Nachhaltigkeit auf, eine Entwicklung, „die den Ansprüchen der Gegenwart gerecht wird, ohne die Fähigkeit zukünftiger Generationen zu beeinträchtigen, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen“. Zu den Ansprüchen der Gegenwart stellt die Autorin fest, dass wir in „der besten aller Zeiten“ (S. 31) leben, in welcher die Kinder- und Müttersterblichkeit extrem zurückgegangen sind, die Lebenserwartung weltweit noch nie so hoch war, Hunger prozentuell so wenige Menschen betrifft wie nie zuvor oder auch so viele Menschen lesen und schreiben können, wie nie vorher. „Die erste Hälfte unserer Nachhaltigkeitsgleichung hat sich radikal verbessert, die zweite ist zweifelsohne schlechter geworden“ (S. 40).
Diesen zweiten Teil der Gleichung spannen die folgenden Kapitel auf, in denen die „sieben größten Umweltkrisen“ (S. 22) anhand der immer gleichen drei Leitfragen bearbeitet werden: wo stehen wir derzeit, wie sind wir zu diesem Punkt gekommen, und was ist zu tun? Behandelt werden in den Kapiteln 2 bis 8 nacheinander die Luftverschmutzung (wo sich laut Autorin am einfachsten Millionen Menschenleben pro Jahr retten ließen), der Klimawandel, die Entwaldung, die Ernährung, der Verlust der biologischen Vielfalt, das Plastik im Meer und die Überfischung.
Gelungene Kombination aus Fakten und provozierenden Positionen
Neben der Auflistung von vielen bekannten und weniger bekannten Fakten traut sich die Autorin auch, sehr dezidierte, manchmal provozierende Positionen einzunehmen. Dazu gehört z. B. ihre unverstellt positive Haltung zur Atomenergie als saubere Energie im Kapitel zur Luftverschmutzung: „Wir müssen einfach weg von fossilen Brennstoffen – egal wie. Wir müssen unsere bestehenden Kernkraftwerke am Laufen halten und weitere in Ländern bauen, in denen dies erschwinglich ist und die über technologisches Know-how verfügen“ (S. 82). Oder in Bezug auf die Aktivitäten vieler NGOs und Unternehmen gegen die Verwendung von Palmöl: „Wenn jedes Unternehmen dem Beispiel von Ben & Jerry’s folgen würde und sein Palmöl durch Kokosnussöl ersetzen würde, bräuchten wir zehnmal so viel Land für den Anbau von Ölpflanzen… Klingt für mich nicht nach einer nachhaltigen Lösung, sondern nach einer Katastrophe“ (S. 160). Auch zum Thema Bio-Landwirtschaft bringt sie ihre Zweifel sehr pointiert an: „Ökologische Landwirtschaft hat sicher ihre Daseinsberechtigung, in einigen lokalen Gebieten mag sie besser sein als die Alternative, aber sie funktioniert nicht auf globaler Ebene“ (S. 230).
Insgesamt – und dies zieht sich durch das ganze Buch – ist das Vertrauen in die sich weiterentwickelnden Technologien bei der Autorin sehr groß, so dass sie zum optimistischen Schluss kommt: „Es besteht eine reale Chance, all diese Probleme in den nächsten fünfzig Jahren zu lösen“ (S. 352).
Das Buch schließt mit einem Fazit, das vor allem aus „drei Gedanken zum Mitnehmen“ (S. 352) besteht. Diese sind erstens die Einsicht, dass sich effektiver Umweltschutz manchmal falsch anfühlen mag (Stichworte: Mikrowelle, Laborfleisch). Zweitens brauche es einen Systemwandel: sie ermuntert dazu, „sich politisch zu engagieren und für Politikerinnen und Politiker zu stimmen, die nachhaltige Maßnahmen unterstützen“, „mit unserem Geldbeutel abzustimmen“ und „effektiv zu spenden“ (S. 355 f.). Und zuletzt wird empfohlen, „sich zusammen[zu]tun und an einem Strang [zu] ziehen“ (S. 358), was – schwierig, wenn nichtunmöglich – auch für Befürworter:innen von Atomenergie einerseits und solchen der Solarenergie andererseits gelten soll.
Eine bereichernde Lektüre
Das Buch besticht durch eine unglaubliche Faktenfülle, viele gut verständliche Grafiken, manch interessante Tipps zum Aktivwerden, und einen erfrischenden, an einigen Stellen auch selbstkritischen Schreibstil, der das Ganze – trotz (oder wegen?) einiger „Provokationen“ – zu einer bereichernden Lektüre macht.