Globale Warenketten und ungleiche Entwicklung

Ausgabe: 2021 | 3
Globale Warenketten und ungleiche Entwicklung

Globale Warenketten sind kein neues Phänomen. Ein Weltmarkt für industrielle und agrarische Massenprodukte entstand aber erst ab den 1970er-Jahren. Moderne Transportmöglichkeiten wie Containerschifffahrt und Luftfracht ermöglichten den schnellen und relativ billigen Transport zwischen den unterschiedlichen Standorten der Produktion, der Endmontage und den zentralen Verbrauchermärkten. Die rasante Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien gab der globalen Aufspreizung der Güterketten nochmals einen Schub. Insbesondere werden heute auch Dienstleistungen in Länder des Globalen Südens verlagert, die Beweggründe der Konzerne sind bekannt: Niedrige Löhne und schlechtere Arbeitsbedingungen einschließlich des weitgehenden Fehlens von Gewerkschaften. Ein von der Entwicklungssoziologin Karin Fischer mitherausgegebener Band geht den sozialen und ökologischen Auswirkungen globaler Warenketten, ihren Chancen, den damit verbundenen Hoffnungen und Enttäuschungen nach.

Vielfältige Aspekte globaler Warenketten

In insgesamt 16 Kapiteln werden die vielfältigen Aspekte des Themas „globale Warenketten“ behandelt – von historischen Beiträgen über das Ringen um verbesserte Arbeitsstandards, die Rolle von Konzernmacht und Kapital in globalen Güterketten, die ökologischen Auswirkungen (Ressourcenkonflikte, Umweltzerstörung) bis hin zur Rolle der Handelskonzerne und Konsument:innen. Informativ sind auch die zahlreichen Fallbeispiele  von den globalen Reichtumsketten von Apple und Glencore über Upgrading im äthiopischen Ledersektor oder die Menschenrechtsverletzungen beim Bauxitabbau in Guinea bis hin zur Rolle des fairen Handels.

Einheitliche Trends sind nicht auszumachen. Während sich die Reduzierung der Länder Afrikas (und teilweise Lateinamerikas) überwiegend auf Rohstofflieferanten verfestigt habe, seien asiatische Länder  den Weg der schrittweisen und weitgehend selbstbestimmten Öffnung gegenüber der Weltwirtschaft gegangen, so die Herausgebenden im Einleitungskapitel. Dies wird auch als Grund für die bedeutend bessere Entwicklung der Volkswirtschaften letzterer Länder angeführt.

Einige Fakten aus dem Buch: Statistisch werden Güter, die mindestens zweimal eine Grenze überschreiten, dem Handel in globalen Warenketten zugerechnet (sie machen bereits 50 Prozent am weltweiten Gesamthandel aus, S. 16). Der Handel mit Zwischengütern übersteigt dabei jenen mit Endprodukten mittlerweile um ein Mehrfaches. Etwa ein Drittel des Welthandels findet innerhalb der Netze transnationaler Konzerne statt; in ca. 80 Prozent des Welthandels sind transnationale Konzerne involviert (ebd.). Unter dem Begriff der „Geografie der Warenketten“ (S. 20f.) finden sich weitere aufschlussreiche Daten: so beträgt die durchschnittliche Distanz von der ersten bis zur finalen Produktionsstufe bei Lebensmitteln etwa 2.000, bei Textilien ca. 2.300, bei Fahrzeugen knapp 2.800 und bei Elektronik knapp 3.000 Kilometer. Der Anteil der Warenketten am Gesamthandel steigt von 34 Prozent (Lebensmittel) bzw. 40 Prozent (Textilien) auf 48 Prozent (Fahrzeuge, Maschinen) bzw. 50 Prozent (Elektronik). Upgrading, also die Aufwertung von geringwertigen zu höherwertigen Aktivitäten in einer Warenkette, gelinge Transformationsländern, Niedrigeinkommensländer konnten bisher keine Vorteile durch die internationale Arbeitsteilung lukrieren, sie würden gar teilweise ein Downgrading erfahren, so ein weiterer Befund. Dass durch weitere Automatisierung („Industrie 4.0“) die globalen Warenketten zurückgehen könnten („Reshoring“ und „Nearshoring“), erwarten die Expert:innen nicht (auch nicht aufgrund der Pandemie), die Unterschiede bei den Produktionskosten würden bleiben; vielmehr käme es zu einer „nachholenden Automatisierung“ im Globalen Süden, was dort Arbeitsplätze verschwinden lasse (S. 25). Die Einführung von CO2-Zöllen könnte bremsend auf die Globalisierung wirken, doch derzeit sei die Klimapolitik viel zu schwach. Nicht zuletzt wird davon ausgegangen, dass, von Ausnahmen wie China abgesehen, auch die Kluft zwischen den hohen Wertschöpfungsanteilen der reichen Länder (Entwicklung, Design und Verkauf) und den geringen Wertschöpfungsanteilen der Niedriglohnländer (Fertigung) bestehen bleibt.

Das gegenwärtige Weltwirtschaftssystem ist nicht zukunftsfähig

Dass das gegenwärtige kapitalistische Weltwirtschaftssystem nicht zukunftsfähig ist, behandelt der Wirtschaftsethiker Bernhard Ungericht (S. 392ff.) in einem der abschließenden Beiträge. Ob seine Vorschläge einer De-Globalisierung und Re-Regionalisierung zu neuen Unternehmensformen sowie zu postkonsumistischen, dem Wachstum abschwörenden Ökonomien in den reichen Ländern Mehrheiten finden werden, bezweifelt er freilich, so notwendig diese auch seien.