Julian Lindley-French et. al.

Future War

Ausgabe: 2022 | 4
Future War

Die Grundaussage des Buches ist klar: In einer sich geopolitisch, technologisch und wirtschaftlich rasch wandelnden Welt hätten „die Europäer“ ihre eigene Verteidigungsfähigkeit vernachlässigt und könnten von ihrem U.S.-Verbündeten gegen neue Bedrohungen nicht mehr länger verteidigt werden. Damit die USA ihre Verpflichtung, Europa militärisch zu schützen, zukünftig überhaupt erfüllen könne, müsse Europa viel größere, vor allem finanzielle Anstrengungen unternehmen. Die USA blieben für die westlichen Demokratien, oder für Demokratien überhaupt, als Partner dabei alternativlos. Die Covid-19-Pandemie habe die damit verbundenen Risiken für Europa zum einen sichtbarer gemacht, zum anderen verschärft, indem sie die europäischen Staaten vor die Wahl stelle, entweder weiter in die „individuelle Sicherheit“ der Bevölkerung zu investieren oder in die längst fällige Modernisierung der eigenen militärischen Kapazität, und indem mit China eine neue Weltmacht entstanden sei, die mit den USA um die globale Vormachtstellung ringe.

Eine gespaltene Welt

Die drei Autoren sind nicht nur Experten für militärische Sicherheit, sondern auch selbst ausgewiesene Vertreter des transatlantischen Bündnisses. Die Welt, die sie beschreiben, ist gespalten zwischen westlichen Demokratien und einer übrigen Staatenwelt, die mehr oder weniger autokratisch regiert wird und daher in einer verrechtlichen, auf Vernunft basierenden internationalen Ordnung unverlässlich sind und nur die Sprache realpolitischer Macht verstehen. Die Covid-19-Pandemie habe dabei gezeigt, dass die Weltwirtschaft nicht globalisiert war, sondern „eine hybride Anarchie mit gegenseitige Abhängigkeiten“ (S. 78). China als neuer Herausforderer zwinge die USA zu einer Konzentration auf Asien, was zu einer Überdehnung der militärischen Kapazitäten der US-Armee führe. Die USA müssten sich ihre Bündnispartner daher nach deren Kapazität zur Unterstützung des von den USA angeführten „globalen Westens“, also der liberalen Demokratien weltweit aussuchen. Vor diesem Hintergrund werden die Hauptbedrohungen des freien Westens präsentiert.

Der Westen stehe zunächst einem Russland unter Putins Führung gegenüber, das Weltgeltungsanspruch, Unbesiegbarkeitsfantasien und vom Westen nicht verstandene Bedrohtheitsängste gleichzeitig hege. Die nach dem Generalstabschef der russischen Armee Valery Gerasimov benannte Doktrin verschmilzt (Des-)Information, Strategie, Fähigkeiten und Technologie zwischen hybridem und Hyperkrieg. Der Erfolgt der russischen Rüstungsbemühungen der letzten Jahrzehnte werde dabei anhand der Okkupation der Krim sichtbar. Eine weitere Herausforderung stelle ein weitgehend destabilisierter Naher und Mittlerer Osten dar, in dem Stellvertreter-Kriege zwischen dem Iran als möglicher Atommacht und Saudi-Arabien tobten. Klimabedingte Migrationsbewegungen aus Afrika würden die Sicherheit Europas zusätzlich bedrohen, übrigens die einzige Stelle, an der der planetaren Ökologie eine Rolle zugeschrieben wird. Die prekären biosphärischen Vorbedingungen jeder menschlichen Organisation, auch der militärischen, werden durch das Buch hindurch konsequent ausgeblendet. Zuletzt stelle China durch seine weltwirtschaftlichen Ambitionen, Stichwort neue Seidenstraße, als auch durch seine militärische Aufrüstung in Richtung Taiwan die größte Bedrohung des Westens dar.

Eine Warnung an die NATO, EU und USA

Das Buch ist eine ernstgemeinte – und leider plausible - Warnung an die NATO, die EU und die USA zugleich. Als am 24. Februar dieses Jahres der russische Überfall auf die Ukraine begann, war eine der häufigsten Reaktionen westlicher Medien und Politiker:innen, dass man nicht geglaubt habe, dass ein Krieg in Europa möglich sei. Schon in der englischsprachigen Originalausgabe vom März letzten Jahres wird ein solcher Krieg als immer wahrscheinlicher beschrieben.

Trotz aller berechtigter Kritik an der militärischen Schwäche der europäischen NATO-Mitglieder bemühen sich die drei Autoren erst gar nicht um einen neutralen Standpunkt. Themen wie die Rolle der USA und ihrer Verbündeten bei der Zerrüttung des Nahen und Mittleren Ostens zwischen Irak-Krieg, Afghanistan und Arabischem Frühling bleiben ebenso ausgeblendet wie die Treuebrüche der US-Regierung gegenüber den europäischen Partnern wie sie etwa durch die Snowden-Enthüllungen bekannt geworden sind. Da wirken Vorschläge zum Umgang mit Verbündeten, die man zur Wahrung eigener Interessen zwar braucht, deren Werte man aber nicht teilt, schnell heuchlerisch. So sei die Unterstützung Saudi-Arabiens und des Golf-Kooperationsrats „angesichts des wachsenden iranischen, russischen und möglicherweise auch chinesischen Einflusses sowie der Bedrohung durch den IS und al-Quaida“ zwar alternativlos. „Amerikaner und Europäer müssen jedoch gemeinsam einen Weg finden, um – wenn auch diskret – Druck auf die Saudis und ihre Verbündeten auszuüben, damit sie ihr Verhalten im Jemen ändern und den Konflikt so bald wie möglich beenden. Denn im Jemen vollzieht sich eine humanitäre Katastrophe“ (S. 191).