Mit dem Buch Frauen Bauen Stadt nehmen sich Wojciech Czaja und Katja Schechtner die Leerstellen in der Kenntnis und Repräsentation weiblicher Blickwinkel im Städtebau vor und öffnen den Blick auf die große Bandbreite von Akteurinnen, die maßgeblich an den Schnittstellen Kultur, Architektur, Kunst und Forschung aktiv waren und sind. Damit schließt sich das Buch einer seit etwa zehn Jahren wachsenden Strömung an, die das Wirken von Frauen in einer jahrhundertelang männlich dominierten Stadtplanungskultur aufdeckt. Denn es stellt sich die Frage, inwiefern die zukünftige Stadt den Bedürfnissen und Wünschen von Frauen gerecht werden kann, und welchen Einfluss Architektinnen und Stadtplanerinnen zukünftig haben werden. Viele Städte sind geprägt vom planerischen Einfluss von Frauen, doch ihr Wirken bleibt meist ungesehen, während ihre männlichen Kollegen gewürdigt werden.
Stadtplanung und Genderkultur
Der erste Teil des Buches wirft daher in Essays und Interviews zunächst einen Blick auf Stadtplanung und Genderkultur der vergangenen 150 Jahre. Im Mittelteil werden beispielhaft 18 Frauen aus aller Welt mit einem ihrer Schlüsselwerke vorgestellt; und im letzten Abschnitt sprechen Expertinnen verschiedener Disziplinen über ihre Sichtweisen zu feministischer Baukultur und deren Rezeption in Medien, Kunst und Gesellschaft.
Nur zwei Architektinnen erlangten in Wien Anfang des 20. Jahrhunderts offizielle Würdigungen: Ella Biggs und Margarete Lihotzky. Letztere arbeitete mit Stararchitekten der Zeit (z. B. Adolf Loos) zusammen, dachte sich intensiv in die Lebensgewohnheiten der Menschen ein und entwarf Häuser so, dass die Bewohner:innen in all ihrem Tun unterstützt werden und sich wohlfühlen. Im Verhältnis zu ihren männlichen Kollegen bekam sie kaum größere Aufträge, und nach dem erfolgreichen Entwurf ihrer Frankfurter Küche kannte man sie nur noch als „Küchenarchitektin“ (S. 57). Meist wurden Architekt-
innen ganz selbstverständlich mit Aufträgen betraut, die mit Weiblichkeit assoziiert wurden. Doch für ein gleichberechtigtes und lebenswertes Zusammenleben gilt es, diese patriarchalen Strukturen aufzubrechen. Denn die Architektur des Wohnens produziert Geschlecht, schreibt die Architektin und Genderforscherin Sabine Pollak. Die Art und Weise, wie öffentliche und private Räume gestaltet sind, ist ausschlaggebend für die Vielfalt an Lebensmöglichkeiten. Inwiefern verfestigt der Raum Rollenvorstellungen, oder vermag es, diese aufzubrechen? Dem Wohnen kommt in der Emanzipierung von Rollenbildern eine große Bedeutung zu (vgl. S. 62). Noch heute werden Wohnungen überwiegend nach der traditionellen Konstellation Küche, Wohnzimmer, Schlafzimmer, Bad gebaut – können wir uns eine befreiende Gestaltung vorstellen, die alte Rollenbilder verhindert und neue provoziert? Sabine Pollak plädiert für eine intensive Einbindung von Genderforschung in den Bereich der Architektur, statt sie als lästigen Zusatz zu empfinden. „Gender-Planning“ (S. 50) ermöglicht, von einem Ort zu träumen, an dem Vielfalt und Gleichstellung gelten und jederzeit Neues entstehen kann. Die ebenfalls forschende Architektin Bärbel Müller geht noch weiter, wenn sie den Diskurs des Post-Anthropozäns eröffnet, den Diversitätsbegriff über Mann/Frau hinausdenkt und sich mit dem Entwerfen von Lebensräumen der Co-Existenz zwischen unterschiedlichen Lebensformen beschäftigt. Zentral setzt sie hier die Begriffe „Unlearning“ und „Decolonising“ (S. 65).
Spannend ist, dass sich gendergerechte Stadtplanung meist mit den Maßnahmen gegen die Klimakrise deckt. Planung von und für Frauen ist heute umfassend: Das Einplanen von beschatteten Bänken, die Erreichbarkeit aller Bedürfnisse, Verkehrsberuhigung, naheliegende Grünflächen, Kultur- und Freizeitangebote – all das dient nicht allein Frauen, sondern entspricht den sozialen Bedürfnissen von Menschen aller Geschlechter und Altersgruppen. Aus der feministischen Perspektive gehe es, so die Direktorin des Architekturzentrum Wien, Angelika Fitz, „um eine Neurelationierung und Neubewertung von produktiven und reproduktiven Tätigkeiten, aber auch um ein neues Verhältnis zur Natur und um neue ökonomische Modelle“ (S. 184).
Die vorgestellten Schlüsselwerke zeigen dies eindrucksvoll: Verkehrsbauten, die nicht nur effizient sein müssen, sondern die Bewegung durch die Stadt verschönern, wie beispielsweise die Tabiat Bridge von Leila Araghian in Teheran. Stadtlandschaften, die klassische Grenzen zwischen innen und außen neu verhandeln und spannende Räume entstehen lassen, wie die begehbaren Dachlandschaften von Lu Wenyu. Stadtmöbel wie die Enzis von Anna Popelka und auch temporäre Kunstinstallationen, die es ermöglichen, die Stadt neu zu denken.
Start für einen spannenden Diskurs
Das Buch spiegelt bewusst die der Thematik innewohnende Gegensätzlichkeit, Vielfalt und Prozesshaftigkeit und regt so den Diskurs auf verschiedenen Ebenen gewinnbringend an.