Fluidität bildet

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Fluidität bildet

„Fluidität“ bezeichnet einen Zustand des ständigen „Im Fluss-Seins“, des „Nicht-Fixieren-Könnens“. Mit „fluider Bildung“ wird ein Prozess angesprochen, der auf permanente Veränderung verweist. Bildungsinhalte sind in diesem Sinne nicht kumulierbar. Wenn Bildung aber „fluide“ gedacht wird, lässt sich diese nicht als festes Kapital im Prozess stetigen Wachstums nutzen, so die Ausgangsthese eines Bandes Fluidität bildet der Pädagogischen Hochschule Salzburg. Gefragt wird, ob sich daraus möglicherweise die Chance auf eine Entkapitalisierung von Bildung und ein Ausgang von der Verwertungs- und Wachstumslogik ergibt oder ob Bildung angesichts der bunten digitalen Bilderwelten ins Hintertreffen gelangt.

De Eröffnungsbeitrag sei hier etwas näher erläutert. Die Anthropologin und Kulturwissenschaftlerin Gabriele Sorgo setzt sich darin mit Identität und Identitätsbildung in der flüssigen Moderne auseinander: „Die Tatsache, dass Menschen gegenwärtig bewusster als im vergangenen Jahrhundert an ihrer Identität arbeiten müssen und dass Bildungsprozesse, vor allem aber Ausbildungswege zu Identitätsbausteinen geworden sind, rückt die Frage nach der Urheberschaft von Identitätskonstruktionen in den Vordergrund.“ (S. 16) Identitäten würden heute nicht mehr durch Traditionen, sondern durch Moden geformt. Sie entspringen keinem „künstlerischen Selbstausdruck, sondern der Absatzsteuerung durch das Marketing“ (S. 18). Sorgo spricht von einer „Kommodifizierung der Kindheit“, die im 21. Jahrhundert durch das Internet und Social Media angeheizt würde: „Von früher Kindheit lernen moderne Menschen, dass sie selbst Konsumgüter sind, insofern ihr eigener Wert sich aus dem Marktwert der Waren zusammensetzt, die sie sich leisten können.“ (ebd.) Die Inhalte der modernen Medien beeinflussen, so Sorgo, die Kinder und Jugendlichen deutlich stärker als die offiziellen Bildungsinhalte der schulischen Institutionen. Das Smartphone sei bedeutender Bestandteil des Alltags von jungen Menschen und werde zum Ersatz für Sorgesysteme. Die „kapitalistisch orientierten Programmindustrien …(zer)stören seit Jahrzehnten Individuationsprozesse und die Entwicklung eines singulären Bewusstseins“ (S. 20). Der „Triebkapitalismus“ (S. 22) unterbinde durch die ständige Fesselung von Aufmerksamkeit notwendige Individuationsprozesse. Individuation sollte niemals abgeschlossen, sondern im Fluss sein, weil sich Menschen zeit ihres Lebens verändern, so Sorgo. Die „flüssige Moderne“ untergrabe jedoch die Entstehung eines Über-Ichs, „das auch zur Verinnerlichung kollektiver Werte und zu Verzichtsleistungen im Dienste der Gemeinschaft anspornt“ (S. 24). Auf diese Weise würden Individuationsprozesse behindert, soziale Beziehungen destabilisiert und Ängste erzeugt, die mit entsprechender medialer Steuerung in Wünsche nach autoritären Regimes umschlagen könnten.

Ob und welche Antworten die Bildung auf die zunehmende Fluidität der Moderne – ein Begriff, der auf den Soziologen Zygmunt Baumann zurückgeht – findet und welche Chance diese bieten kann, versuchen weitere Beiträge des Bandes zu ergründen. „Das zunehmende fluide Selbst hängt heute nicht nur dem Fremden an, sondern zunehmend allen“ (S. 104), so Manfred Oberlechner, einer der Herausgeber. Eine Öffnung gegenüber dem Fremden sowie Ambiguitätstoleranz könnten somit wertvolle Stimuli für Bildung und ein Bestehen in der fluiden Moderne sein.