Perspektive wechseln

Ausgabe: 2018 | 4
Perspektive wechseln

Perspektive-wechseln-Jahrbuch

Jahrbuch für nachhaltige Entwicklung

„Für NationalistInnen ist Heimat das, was für KosmopolitInnen das Klima ist: etwas Schützenswertes.“ (S. 119) Damit beginnt der Klimageograf Mathis Hampel seinen Beitrag für das aktuelle „Jahrbuch BNE“ des Forum Umweltbildung. Er spricht darin von der „globalen CO2-Falle“. Weil das Klima der Verortung entzogen und nur mehr als abstraktes, in Computermodellen berechnetes System behandelt und diskutiert wird, falle es schwer, so die zentrale These des Autors, politisch mit Klimaschutz zu punkten. „Der Klimawandel, eine im Kern ethische, ökonomische und vor allem demokratiepolitische Herausforderung, wurde als administrativ-buchhalterisches CO2-Problem gedeutet: Wie können Emissionen bei gleichzeitiger Maximierung des Bruttoglobalprodukts (BGP) am effizientesten reduziert werden, um ein optimales Verhältnis zwischen BGP und Klimaschäden zu erreichen?“ (S. 121) Für die Menschen sei „Klima“ aber immer noch „das Wetter in unserer Erinnerung“ (S. 124), das abstrakte 2-Gradziel schaffe es daher nicht, Mehrheiten für eine Klimaschutzpolitik zu mobilisieren. Und noch mehr: Rechte Populisten punkten nun mit der Leugnung des Klimawandels: „Sie sind den KlimaaktivistInnen einen entscheidenden Schritt voraus, denn sie ahnen, dass CO2 nie ein ausschlaggebendes Wahlmotiv sein wird.“ (S. 125) Anders formuliert: Wegen der steigenden CO2-Konzentration in der Atmosphäre gehen wohl wenige auf die Straße, gegen weitere Flüchtlinge wären es derzeit wahrscheinlich viele.

Hier setzt der Philosoph Thomas Mohrs mit seinem Beitrag über die „Nahbereichsfalle“ an. Wir seien eingeklemmt, so seine These, „in der Falle zwischen der Erblast unserer Nahbereichsprägung einerseits und der globalisierten Lebenswelt, die wir uns selbst geschaffen haben, andererseits“ (S. 112). Auch wenn uns eine „langfristig kalkulierende Klugheitsethik“ (ebd.) nahelegen würde, unseren Wirtschafts- und Lebensstil zu ändern, treffen wir unsere Entscheidungen nach anderen Kriterien: „Wir reden über Nachhaltigkeit und alle damit zusammenhängenden Probleme, sind uns der Dramatik der Situation durchaus bewusst, freuen uns aber, wenn unsere Kinder mit den Enkeln an Weihnachten von ihren leider so schrecklich fernen Wohnorten nach Österreich fliegen oder mit dem Auto fahren, um uns zu besuchen.“ (ebd.) Mit dem Psychologen Kohlberg formuliert: Kognitiv seien wir auf der höchsten (sechsten) Moralstufe angelangt, praktisch handelten wir aber nach unseren Emotionen, Wünschen und Begierden (Stufe drei). Dazu komme das sogenannte „Yolo-Argument“, die „You live once only“-Haltung: „Wenn sowieso alles zu spät ist und die Titanic unweigerlich auf den Eisberg krachen wird, wieso dann nicht an der Bar und beim üppigen Buffet bleiben, solange es nur irgendwie möglich ist?“ (S. 115) Mohrs Schlussfolgerung: Wir sind offensichtlich „unfit für Nachhaltigkeit“ von unserer evolutionären Prägung her, die Chance bestünde daher allein darin, in Anbetracht dieses Befundes die richtigen Fragen zu stellen, was die genuine Aufgabe von Philosophie sei.

Hans Karl Peterlini über Umwelterziehung

Eine weitere Barriere für den Wandel thematisiert der Erziehungswissenschaftler Hans Karl Peterlini, wenn er danach fragt, was Umwelt- und Friedenserziehung ausrichten sollen „in einer Welt, die von ihren ökonomischen und politischen Strukturen auf Konkurrenz, Konsum, Krieg ausgerichtet ist“ (S. 94). Peterlini verweist dabei auf die nur „zögerlich umgesetzten oder boykottierten Maßnahmen zum Klimaschutz“ ebenso wie auf die „zynische Kälte der europäischen Asylpolitik“ oder die „ungenierte Profitbeteiligung am internationalen Waffengeschäft“ (S. 95). Beiträge der Pädagogik zur Veränderung sieht der Autor lediglich in der „Erziehung zur Mündigkeit“ nach Adorno. Notwendig sei hierfür eine „Akzentverschiebung vom Lehren des guten Lebens auf ein Umlernen im Gebrauch der Werkzeuge“ (S. 97) nach dem Motto „Democracy cannot be taught, it only can be learned“, d.h. Demokratie könne nur in konkreter Praxis erfahren werden.

Das Jahrbuch bietet zahlreiche spannende Beiträge zur „Klimakommunikation“, auch solche, die weiterhin auf Aufklärung setzen, wie etwa das Bildungsportal www.klimafolgenonline-bildung.de, vorgestellt von Ines Blumenthal vom Potsdam-Institut. Den Schlusspunkt setzt jedoch erneut ein ernüchterndes Interview des Jahrbuch-Redakteurs Michael Schöppl mit dem Club of Rome-Mitgründer Dennis Meadows, der für die Zukunft viel größere Schocks prognostiziert als wir sie heute kennen. Seine Empfehlung lautet daher Anpassung an die neuen Verhältnisse im Sinne von Resilienz, ein Paradigmenwechsel, der in der Klimadebatte ohnehin bereits vonstattengehe.  

Von Hans Holzinger

Perspektive wechseln. Jahrbuch Bildung für nachhaltige Entwicklung. Michael Schöppl (Red.). Wien: Forum Umweltbildung, 2018. 156 S., € 10,- [A, D] ; ISBN 978-3-900717-92-6