Acht Bücher. Acht Themen.

Ausgabe: 2020 | 3
Acht Bücher. Acht Themen.

Acht kurze Rezensionen finden Sie nachfolgend, geschrieben von Katharina Kiening, Quirin Schnack, Paul Marsden, Anja Bachl, Stefan Wally, Winfried Kretschmer (changeX), Judith R. Waizenegger. Im Fokus: Bücher von KATAPULT, Kübra Gümüşay, Simon Strauss, Riane Eisler und Douglas P. Fry, Johny Pitts, Aladin El-Mafaalani, Gunter Dueck, Delphine Horvilleur.

KATAPULT: 102 grüne Karten zur Rettung der Welt

KATAPULT ist jenes Magazin, das Statistiken und Sozialwissenschaft in Form von vereinfachten Infografiken und Karten darstellt. Das Team rund um Chefredakteur Benjamin Fredrich macht so wissenschaftliche Forschungsergebnisse einfach zugänglich – seit 2016 sehr erfolgreich im Zeitschriftenformat, 2019 erschien dann mit 100 Karten, die deine Sicht auf die Welt verändern das erste Buch, auch sehr erfolgreich, nun liegt mit 102 grüne Karten zur Rettung der Welt das zweite vor. Diesmal geht es um Klima und Umwelt. Und wieder lädt der Band zum Lachen und Nachdenken ein. Amüsant, scheinbar belanglose Grafiken wechseln sich mit erschreckend-wachrüttelnden ab. Anschauen lohnt. KK

KATAPULT: 102 grüne Karten zur Rettung der Welt. Suhrkamp Verlag, Berlin 2020 · 203 S.

Kübra Gümüşay: Sprache und Sein

Kübra Gümüşay umarmt mit Sprache und Sein innere und äußere Universen und zeigt, wie Augenhöhe und Respekt gleichzeitig mit Klarheit und Positionierung möglich sind. „Wir müssen uns mit der Architektur der Sprache beschäftigen, die unsere Realität erfassen soll.“ (S. 21) Die Autorin versteht Politik und Poesie als Werkzeuge, eigene und gesellschaftsstrukturelle Muster zu hinterfragen, klar zu machen, was Sprache und Ausdruck können und wie unumgänglich eine Auseinandersetzung mit diesen ist, wenn wir in einer wachen Welt leben wollen. AB

Kübra Gümüşay: Sprache und Sein. Hanser Berlin, Berlin 2020 · 208 S.

Simon Strauss (Hg.): Spielplanänderung!

Aus einer Serie im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen entstand diese von Simon Strauß herausgegebene Anthologie. 30 Beiträge präsentieren ausgewählte Theaterstücke aus vier Jahrhunderten, die es endlich wieder oder erstmals zu spielen lohnen würde. Eine inspirierende Zusammenstellung. Highlights: Die Schriftstellerin Deborah Feldman verweist auf „Der Dibbuk“ (1920) von Salomon Ansky, der Dramaturg Bernd Stegemann nennt „Glaube und Heimat“ (1910) von Karl Schönherr, die Journalistin Annabelle Hirsch hebt „Gabriel“ (1839) von George Sand hervor. KK

Simon Strauss (Hg.): Spielplanänderung! 30 Stücke, die das Theater heute braucht. Tropen Verlag, Stuttgart 2020 · 259 S.

Riane Eisler, Douglas P. Fry: Nurturing our Humanity

Riane Eisler und Douglas P. Fry werfen einen frischen Blick auf unsere Gesellschaft, indem sie das gegenwärtige soziale Klima auf der Grundlage der Begriffe domination und partnership analysieren. Sie widersprechen dabei klar der oftmals wiederholten Annahme, dass Menschen eine Veranlagung für Gewalt hätten, für Krieg und Vergewaltigung; sie zeigen auch, inwiefern viele der weltweiten Probleme miteinander verbunden sind; und sie beschreiben, wie eine bewusste Gesellschaftstransformation gelingen kann, hin zu einem beständigen System, das Empathie, Altruismus und Kreativität beherbergt. PM

Riane Eisler, Douglas P. Fry: Nurturing our Humanity. How Domination and Partnership Shape Our Brain, Lives, and Future. Oxford University Press, Oxford 2019 · 360 S.

Gunter Dueck: Heute schon einen Prozess optimiert?

Unternehmen wollen heute agil und innovativ sein. Doch allen Proklamationen zum Trotz bleibt das Management eisern dem Effizienzprinzip verpflichtet, diagnostiziert Ex-IBM-Manager und Managementkritiker Gunter Dueck. Nach der Durchindustrialisierung der Produktion wird nun auch der Servicebereich „in Prozessen organisiert und optimiert“ (S. 22). Als Gegenmittel empfiehlt der Autor eine „Systemtherapie zum offen-innovativen Unternehmen“ (S. 265). Kerngedanke: mehr fachliche Expertise, weniger Management. WK

Gunter Dueck: Heute schon einen Prozess optimiert? Das Management frisst seine Mitarbeiter. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2020 · 328 S.

Aladin El-Mafaalani: Mythos Bildung

Aladin El-Mafaalani gelingt, was aktuell viele versuchen: Sich fundiert mit dem deutschen Bildungssystem, eingebettet in seine Gesellschaft, auseinanderzusetzen. Mit dem Habituskonzept nach Bourdieu konkretisiert der Professor für Erziehungswissenschaft insbesondere die Chancenungleichheit und erklärt, wieso Bildung allein wenig daran ändern kann. Darum überrascht es auch nicht, dass El-Mafaalanis Vorschläge für eine Bildung der Zukunft wenig visionär, dafür aber sehr plausibel erscheinen. Ein lesenswertes Buch! QS

Aladin El-Mafaalani: Mythos Bildung. Die ungerechte Gesellschaft, ihr Bildungssystem und seine Zukunft. Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2020 · 320 S

Johny Pitts: Afropean

Johny Pitts versucht mit dieser – seiner ersten – Publikation einzufangen, was eine afrikanisch-europäische Identität ist bzw. sein könnte, was es heißt afropäisch zu sein. Der Journalist und Fotograf bereist über eine Zeitspanne von fünf Monaten diverse Großstädte, dokumentiert seine Begegnungen, Gedanken und Gespräche, verknüpft und kontextualisiert sie mit geschichtlichen Ereignissen. Pitts „Notes from Black Europe“ können als Ausschnitte eines bunten Mosaiks gesehen werden, er selbst als herausragender Berichterstatter. KK

Johny Pitts: Afropean. Notes from Black Europe. Allen Lane, London 2019 · 391 S.

Delphine Horvilleur: Überlegungen zur Frage des Antisemitismus

Die Rabbinerin Delphine Horvilleur betrachtet das Phänomen des Antisemitismus aus philosophisch-theologischer Perspektive. Sie nimmt uns mit zu den ersten Berichten, die jüdische Autoren unter anderem in der Hebräischen Bibel und den Talmuden verfassten. Horvilleur spannt den Bogen von antisemitische Einstellungen seit es Juden und Jüdinnen gibt bis zu gegenwärtigen Strömungen, zeigt die Parallelen wie Unterschiede zu Rassismus und Frauenfeindlichkeit auf. Die gewählte Perspektive der Autorin auf die Problematik des Antisemitismus und ihr, zum Teil mit einem Augenzwinkern versehener Erzählstil ist empfehlenswert für alle, die ihre Kenntnisse in diesem Kontext erweitern wollen. JRW

Delphine Horvilleur: Überlegungen zur Frage des Antisemitismus. Hanser Berlin, Berlin 2020 · 160 S.