"Die Zukunft hat schon begonnen" hieß das Buch, das Robert Jungk vor 35 Jahren berühmt machte. Heute, das wissen wir, können wir die Zukunft mit einem - atomaren - Schlag hinter uns haben. Das treibt viele in die Resignation. In seinem neuesten Buch zählt Robert Jungk noch eine Reihe anderer Punkte auf, die auf das tiefste beunruhigen müssen. Es sind die Punkte, an denen technische Prozesse irreversibel werden - das meint, daß einmal gemachte Fehler nicht mehr korrigiert werden können. Beispiele liefert nicht nur die Atomindustrie, sondern ebenso die multinational operierende Agrarindustrie mit ihrer Artenvernichtung durch Gentechnologie.
Robert Jungk aber redet gerade nicht der Resignation das Wort, sondern er sieht überall Gegenkräfte sich bilden, und er sieht sie auch nicht als vollkommen machtlos an. Es gibt die Wahrnehmung der Umweltzerstörung, ein verbreitetes Bewußtsein davon, daß die Großtechnologien menschliche Bedürfnisse nicht erfüllen, sondern menschliche Lebensmöglichkeiten zerstören. Wünsche werden heute lautstärker artikuliert, Phantasien und Utopien weniger ideologiebelastet gesponnen. Und schon viele experimentieren mit großer Ausdauer mit alternativen Lebens- und Produktionsweisen. Selbst in den technokratischen Eliten geht es nicht mehr so stur zu, wie es vielleicht von außen aussieht. Ein Grund ist, daß sie oft als erste wissen, wie bedrohlich neue Entwicklungen sind, und daß sie mit allen anderen mitbedroht sind. Der alte Gegensatz zwischen Nutznießern und Leidtragenden des technischen Fortschritts beginnt zu zerfallen. Daher gibt es schon Überläufer, wie immer :in Zeiten von Umwälzungen "Schwalben der Veränderung". Robert Jungks Plädoyer ist nun, die Welt wieder einmal von den Füßen auf den Kopf zu stellen. Das heißt, daß Menschen, statt sich von "Sachzwängen" verschrecken zu lassen, gemeinsam, in Gruppen, privat und öffentlich darüber nachdenken, wie sie leben möchten und auf welchen Wegen solche Lebenswünsche zu verwirklichen wären. Fortschritt ist gefragt, Fehler sind erlaubt, aber alles muß reversibel sein, und die Technik muß sich der Natur - besonders der Natur des Menschen - anpassen. Anregungen gibt Robert Jungk eine Menge - Anleitungen nicht. Das unterscheidet den Denker vom Macher.
Diese Besprechung ist unter dem Titel "Schwalben der Veränderung" zuerst erschienen in: Buchjournal 2/1988, S.40f.