Bei den hier veröffentlichten Beiträgen handelt es sich um Zeitungsaufsätze. Es sind Momentaufnahmen eines Beobachters, die mosaikartig das Deutschland der Nachkriegszeit bis zur Mitte der 70er Jahre wiederspiegeln. Ein weiteres Beispiel der in letzter Zeit vermehrt zu beobachtenden Verlagspraxis des Nachdrucks und der Rückbesinnung. Es werden nicht nur amüsante Episoden, sondern auch interessante Vergleiche von Entwicklungsabschätzung und tatsächlicher Entwicklung geboten.
Die prophezeite Chance, die deutsche Nachkriegspresse im Interesse der Allgemeinheit in Gestalt von Stiftungen zu reformieren, wurde beispielsweise nicht verwirklicht; die Absage an "jeglichen Kriegsdienst" für alle Deutschen erweist sich im Nachhinein als bloße Illusion. Dem Hang vieler Journalisten, Themen der Zeit mittels Satire und Ironie zu behandeln, huldigt Müller-Meiningen ausgiebig. So ist etwa in einer Urteilsbegründung aus dem Jahr 1962 die Rede davon, daß Ausdrücke wie "Polizeistaat" und „Vopos" , aber auch bloße Pfuirufe bereits rechtswidrig seien. Aus dem Kuriositätenfundus des Sports schöpft der Autor reichlich: U. a. ist vom „Berg-Anarcherl" Reinhold Messner, vom Vorschlag eines Pressereferenten für Himalaya-Expeditionen (1953) oder gar vom "wüsten Treiben" auf den heimischen Skipisten (1952) zu lesen.
Gewichtigere Analysen beschäftigen sich mit dem Überfall auf das Spiegel Verlagshaus ("Glanz und Elend der Presse"), der Rechtsprechung ("Justiz in unserer Zeit"), mit Politik und ihren Exponenten. Im Zusammenhang mit dem Nürnberger Prozeß meint der Autor, daß die Zahl der Verfahren, die sich mit Verbrechen aus der Zeit des Dritten Reiches noch zu beschäftigen hätten, glücklicherweise begrenzt sei. Dies hat sich als krasse Fehleinschätzung erwiesen.
Als Zeitspiegel sind die Beiträge von Interesse, einiges ist sogar heute noch aktuell. Zukunftsrelevantes im Sinne Thea Bauriedls wird vor allem dort geboten, wo dem Leser die eigene Geschichte ins Gedächtnis gerufen wird. Zur Vergangenheitsbewältigung bietet Müller-Meiningen Anlaß, indem er die allmählich sich entwickelnde Tendenz "staatsbürgerlicher Restauration" dokumentiert. Als Beitrag gegen das Verdrängen, das den Blick auf weite, bessere Horizonte verbaut, haben Nachdrucke wie dieser ihren Welt.
Müller-Meiningen, Ernst: Das Jahr Tausendeins. Eine deutsche Wende? Basel (u. a.): Helbing & Lichtenhahn, 1987.253 S. DM 29,80 I sfr 28,- I öS 232,40